Vorbemerkung:
Der Koalitionsvertrag enthält verkehrspolitische Vorhaben, die für die Bundes-SGK von hoher Bedeutung sind. Zu einem der zentralen Vorhaben – der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes – liegen bereits seit Beginn vergangenen Jahres Eckpunkte des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vor und eine Findungskommission wurde eingesetzt. Noch ist jedoch nicht absehbar, wann das Gesetzgebungsverfahren starten wird. Den anstehenden Gesetzgebungsprozess wollen wir mit dem nachfolgenden Beschluss begleiten.
1. Koalitionsvertrag und Bundesverwaltungsgericht
Im Koalitionsvertrag ist der Auftrag zur Reform des Personenbeförderungsgesetzes festgehalten, auf Seite S. 47 heißt es:
„Wir wollen, dass Mobilität über alle Fortbewegungsmittel (z. B. Auto, ÖPNV, E-Bikes, Car- und Ride Sharing, Ruftaxen) hinweg geplant, gebucht und bezahlt werden kann und führen deshalb eine digitale Mobilitätsplattform ein, die neue und existierende Mobilitätsangebote benutzerfreundlich miteinander vernetzt. Um dies zu erreichen, müssen einheitliche, offene Standards entwickelt und eingehalten werden. Damit können Echtzeitdaten über Verkehrsträger und -situation frei und zwischen allen öffentlichen und privaten Betreibern von Verkehrssystemen und Anbietern von Informationssystemen ausgetauscht werden, um die Einführung von bundesweiten eTickets zu ermöglichen.
Wir wollen Ruf- und Bürgerbusse stärken und etwaige Regelungshindernisse beseitigen. Wir wollen digital organisierte private Mitfahrgelegenheiten unterstützen (insbesondere von Pendlern). Wir werden das Personenbeförderungsgesetz mit Blick auf neue digitale Mobilitätsangebote modernisieren. Wir wollen einen Rechtsrahmen für das autonome Fahren schaffen, der Datenschutz und Datensicherheit ebenso gewährleistet wie ein Höchstmaß an Sicherheit."
und auf Seite 122 wird weiter ausgeführt:
„Wir werden das Personenbeförderungsrecht modernisieren und die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr und neue Bedienformen im Bereich geteilter Nutzungen (Ride Pooling) an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und neue technischen Entwicklungen anpassen. Neue plattformbasierte digitale Mobilitätsangebote brauchen eine rechtssichere Grundlage für ihre Zulassung. Dabei achten wir darauf, dass ein fairer Ausgleich (level playing field) zwischen den unterschiedlichen Beförderungsformen gewahrt bleibt.
Kommunen müssen entsprechende Steuerungsmöglichkeiten erhalten. Gute soziale Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten sind für uns dabei zentrale Voraussetzung. Sowohl der Taxi- wie auch der Mietwagenbetrieb soll von regulatorischen Entlastungen profitieren. Für einen attraktiven und in die Zukunft gerichteten ÖPNV wollen wir digitale Informations- und Vertriebssysteme fördern.
Neue Mobilitätsangebote sowie moderne Bedienformen und der ÖPNV müssen sich bestmöglich ergänzen. An den Festlegungen im Personenbeförderungsgesetz für den Vorrang von eigenwirtschaftlichen Verkehren im Personennahverkehr halten wir fest. Im Personenbeförderungsgesetz werden wir klarstellen, dass über die Nahverkehrspläne soziale Standards zum Schutz der Beschäftigten sowie qualitative und ökologische Standards auch für eigenwirtschaftliche Verkehre gelten."
Aus kommunaler Sicht muss die anstehende Novelle des Personenbeförderungsgesetzes bestehende Unsicherheiten beseitigen und zugleich dafür sorgen, dass die neuen Mobilitätsformen und datengetriebenen Innovationen auf einer sicheren gesetzlichen Grundlage in den Nahverkehr integriert werden können.
Es gibt Beispiele aus den Städten Pforzheim und Hildesheim, die verdeutlichen wie öffentliche Verkehrsunternehmen durch den im Personenbeförderungsgesetz verankerten Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre sowie dem Nebeneinander von Aufgabenträgern und Genehmigungsbehörden bei Zulassung und Verkehrsplanung in Bedrängnis geraten können - mit negativen Folgen für die Beschäftigten. Eine solche Entwicklung ist gerade mit Blick auf die Gewährleistung einer guten Mobilität für alle Regionen und die Herausforderungen zur Erreichung der Klimaziele zu verhindern.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar mit seinem Urteil vom 10. Oktober 2019 klargestellt: Der Aufgabenträger entscheidet darüber, in welchem Umfang und zu welchen Tarifen Verkehrsleistungen erbracht werden. Er hat die Wahl zwischen unterschiedlichen Instrumenten wie der Direktvergabe oder den Erlass einer sogenannten „Allgemeinen Vorschrift", um defizitäre Verkehrsleistungen in der Eigenwirtschaftlichkeit auszugleichen. Durch das Urteil wird die Stellung der Aufgabenträger gestärkt. Eine rechtliche Verankerung von einheitlichen Standards für eigenwirtschaftliche Verkehre wäre für die Untermauerung dieser Rechtsposition dennoch wünschenswert.
Auf Seite 15 der Urteilsbegründung heißt es:
„Schließlich lässt sich auch den Gesetzesmaterialien kein Hinweis dafür entnehmen, dass der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit die Wahlmöglichkeiten des Aufgabenträgers beschränken sollte. Vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass im Zuge der Anpassung des Personenbeförderungsgesetzes an die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit zwar erhalten und konkretisiert werden sollte. Zugleich sollte aber klargestellt werden, dass die zuständigen Stellen dazu berechtigt sind, die nach der Verordnung bestehenden Handlungsinstrumente zu nutzen (BT-Drs. 17/10857, S., 2). Dementsprechend wollte der Gesetzgeber mit Einfügung der § 8a Abs. 1 Satz 2 PBefG klarstellen, über welche Handlungsmöglichkeiten die zuständige Behörde verfügt (BT-Drs. 17/10857 S. 20)."
2. Anforderungen an eine Novelle des PBefG aus kommunaler Sicht
Das Personenbeförderungsrecht soll den neuen Gegebenheiten der Digitalisierung, dem Klimaschutz, den neuen Mobilitätsformen und –Bedürfnissen in der Stadt und auf dem Land angepasst werden.
Aus kommunaler Perspektive müssen Antworten auf die folgenden Fragen und Anforderungen gefunden werden:
1. Wie kann gewährleistet werden, dass die Kommunen die Steuerung und Kontrolle über die Mobilitätsangebote und ihre Standards behalten bzw. erlangen.
2. Wie können neue Mobilitätsformen, digitale Buchungsmöglichkeiten und Pooling inklusive der dazu notwendigen Plattformen in die Nahverkehrsplanung als sinnvolle Ergänzung für eine Ausweitung des Angebots integriert werden?
3. Der ÖPNV als Aufgabe der Daseinsvorsorge soll ausgebaut und attraktiver werden, um das Leben in der Stadt und auf dem Land zu verbessern. Dieses Ziel kann nur unter Einhaltung von ökologischen, sozialen und qualitativen Standards erreicht werden. Die Verantwortung und Kontrolle muss vor Ort bei den Kommunen liegen.
Der Nahverkehrsplan des Personenbeförderungsgesetzes soll zum zentralen verpflichtenden Instrument der kommunalen Aufgabenträger werden, um den öffentlichen Verkehr nach den jeweiligen Bedürfnissen gestalten zu können. Dementsprechend muss die Novelle
- die Kommunen als Aufgabenträger stärken, indem sie klarstellt, dass über die Nahverkehrs-pläne soziale, qualitative und ökologische Standards auch für eigenwirtschaftliche Verkehre gelten. Alternativ sollten für den Fall, dass eine Kommune keinen Nahverkehrsplan ausgearbeitet hat, Standards auch bereits über die Vorabbekanntmachung verankert werden können. Die Nahverkehrspläne sollten auch Festlegungen über Kapazitäten, Preise und Sicherheitsstandards enthalten und für die Genehmigungsbehörden bindend sein.
- On-Demand und Ride-Pooling-Angebote als Alternativen im ÖPNV zulassen. Um dies rechtssicher zu ermöglichen, ist eine Verankerung der neuartigen Angebote im Nahverkehrsplan und deren Ermöglichung als integrierten Teil des ÖPNV bereits im PBefG als eigene Verkehrsform notwendig. Sie können innerhalb des Nahverkehrs als Ergänzung zu den Linien- bzw. den Gelegenheitsverkehren vor allem in suburbanen und ländlichen Regionen sinnvoll sein, müssen aber zwingend in der Kontrolle der Kommunen ausgestaltet werden, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Wenn ein kostendeckender Betrieb nicht möglich ist, kann der Aufgabenträger Leistungen ähnlich wie im Linienverkehr bestellen.
Aus kommunaler Sicht dürfen neue Mobilitätsformen nur zusätzliche Angebote generieren und bestehende Lücken füllen, ohne die Wirtschaftlichkeit und Effektivität der bestehenden Strukturen zu gefährden. „Rosinenpickerei" privater Anbieter, d.h. eine Strategie zur Übernahme nur von wirtschaftlich interessanten Verkehren, soll verhindert werden, weil deren Herauslösung aus dem bestehenden Gefüge öffentlicher Verkehre diesen insgesamt gefährden würde. Ähnliches gilt für eine Markteroberung über einen Dumpingwettbewerb.
Darüber hinaus muss durch eine Änderung des PBefG
- sichergestellt werden, dass durch die digitale Vermittlung von Beförderungsangeboten keine Schlupflöcher für eine vor Ort bestehende Genehmigungspflicht entstehen. Nur so können die Kommunen eine adäquate Planung ihres ÖPNV gewährleisten. Der Genehmigung muss die Übernahme von Verpflichtungen gegenüberstehen, beispielsweise die zur Beförderung in einem festgelegten Gebiet. Da die neuen Plattformanbieter sowie Verleiher nur vermitteln, selbst aber nicht fahren, muss die Verantwortung auf den Plattformanbieter übergehen,
- sichergestellt werden, dass das Taxi als eine bewährte Mobilitätsform erhalten bleibt. Eine Flexibilisierung der Tarifstrukturen bei Sharing-Angeboten im Taxenverkehr mit Ober- und Untergrenzen und der Ersatz der Ortskundeprüfung durch einen „kleinen Fachkundenachweis" (bei Fahrerinnen und Fahrern von Taxi-, Mietwagen und Poolingdiensten) könnten hier unterstützend wirken,
- sichergestellt werden, dass es keine Abschaffung der Rückkehrpflicht und Aufhebung des Poolingverbots für Mietwagen gibt, ohne dass die Übernahme von entsprechenden Verpflichtungen wie sie das PBefG für das Taxigewerbe vorsieht (Tarifpflicht, Betriebspflicht, Beförderungspflicht) gelten, anderenfalls würden die bestehenden Angebotsstrukturen des ÖV und der Taxis benachteiligt.
In Zukunft wird es neben Ergänzungen des ÖPNV auch neue Angebote außerhalb des etablierten Verkehrsnetzes geben. Diese Entwicklungen sollten wie auch das novellierte PBefG und seine Wirkung in einem überschaubaren Zeitraum evaluiert werden.
3. Ausblick und Perspektiven
Für die anstehenden Herausforderungen und zur Umsetzung des Koalitionsvertrags braucht es jetzt eine gesetzliche Grundlage, um die Integration neuer Mobilitätsformen sowie soziale, qualitative und ökologische Standards für eigenwirtschaftliche Verkehre in die Nahverkehrspläne aufnehmen zu können.
Ein größerer Wurf – ein „Gute Mobilität-Gesetz" - muss über das Ende der Legislaturperiode gedacht werden. Denn die Anforderungen durch Klimaschutz und Luftreinhaltung sind hoch. Wer in Zukunft einen attraktiveren öffentlichen Nahverkehr anbieten will, um den Modal-Split maßgeblich zu verändern, muss maximale Entscheidungs- und Planungsfreiheit haben.
Mit den bestehenden politischen Mehrheiten auf Bundesebene ist ein Ende des Vorrangs der Eigenwirtschaftlichkeit gegenwärtig nicht durchzusetzen. Darüber hinaus gibt es jedoch noch viele Möglichkeiten den ÖPNV zu verbessern: z.B. durch Zieldefinitionen für die Erreichbarkeit von Angeboten (Mobility as a Service) und die dazu notwendige digitale Infrastruktur sowie die Auflösung von Tarifgrenzen, raumplanerische Fragen, Fragen des Straßenrechts (z.B. Sondernutzungsrecht) für nicht stationsbasierte Angebote und Finanzierungsfragen müssen geklärt werden.
Beschluss des Vorstandes der Bundes-SGK am 14. Februar 2020