Erfolgreich die nachhaltige Mobilität von Morgen gestalten
Beschluss der Delegiertenversammlung der Bundes-SGK
am 23./24. November 2018 in Kassel
Vorbemerkung:
Zwei Diskussionsfelder dominieren die Verkehrspolitik. Einerseits geht es um die Dieselskandale der Automobilindustrie und die damit verknüpfte Debatte über drohende Fahrverbote in den Städten, in denen die NOx-Immissionen die Grenzwerte überschritten haben. Keiner möchte Fahrverbote aussprechen, die Bundesregierung kann sich aber nicht dazu durchringen, die Automobilhersteller zu wirksamen Nachbesserungen an den Fahrzeugen zu verpflichten. Um Aktivität zu beweisen, wurde ein Sofortprogramm „Saubere Luft 2017 bis 2021“ aufgelegt, welches gemäß Koalitionsvertrag fortgeschrieben bisher wenig Wirkungen gezeigt hat.
Anderseits wird die Debatte technologieorientiert über die Möglichkeiten der Elektromobilität und die Zukunft „selbstfahrender Autos“ in einer digitalisierten Verkehrsinfrastruktur vorangetrieben. Damit verbunden sind die Sorgen, dass die deutsche und europäische Industrie die Zukunftsentwicklungen verpassen und gegenüber Amerika und Asien in Rückstand geraten könnte. Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht die Vision emissionsarmer Fahrzeuge in einer neuen Welt nachhaltiger Mobilität mit digital entsprechend den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung gesteuerten Fahrzeugen im Gemeinschaftseigentum.
So notwendig und richtig beide Debattenstränge sind, dürfen sie jedoch nicht den Blick auf die weiterhin zentrale Aufgabe jeder Mobilitätspolitik verstellen. Wie lässt sich das hochleistungsfähige Verkehrssystem mit seinen Erneuerungsbedarfen und zusätzlichen Anforderungen durch Wachstum und veränderte Bedürfnisse, wie z.B. den Internethandel, funktionstüchtig in die Zukunft führen?
Erfolgreich die nachhaltige Mobilität von Morgen gestalten
Grundanliegen jeder kommunalen Mobilitätspolitik muss es sein, die Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen mit ihren Lebens- und Wirtschaftsinteressen erfüllen zu können. Die Mobilitätsansprüche und Erfordernisse wachsen. Insbesondere der Güterverkehr stellt erhöhte Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrssystems. Zugleich bleiben die Anforderungen des motorisierten Individualverkehrs bestehen. Immer mehr Haushalte verfügen über Fahrzeuge. Car-Sharing-Modelle haben diesen Trend nicht umdrehen können.
Um den Straßenverkehr besser bewältigen und seine Ansprüche reduzieren zu können, muss der Modal-Split zwischen der PKW-Mobilität und dem Umweltverbund aus Öffentlichen Personennahverkehr, Fahrrad- und Fußverkehr deutlich zugunsten des Umweltverbundes verschoben werden.
Klimaschutzanforderungen an den Verkehrssektor (CO2-Reduzierung), Luftreinhaltung (Feinstaubreduzierung und Reduzierung der NOx-Emissionen), Vermeidung von Lärmbelästigungen und die Erhöhung der Verkehrssicherheit profitieren alle von einer konsequenten Vorrangpolitik für den Umweltverbund.
Deshalb muss Mobilitätspolitik, unabhängig von den rapiden technologischen Entwicklungen durch Alternativen zum traditionellen Verbrennungsmotor und den Möglichkeiten der Digitalisierung zur Steuerung in der Verkehrsinfrastruktur, weiterhin ihren Schwerpunkt in den Ausbau, die Verbesserung der Verbindungsqualitäten, die Attraktivitätssteigerung des Öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs legen. Wenn dieses mehr sein soll als die schrittweise Entwicklung der letzten Jahrzehnte, brauchen wir eine Investitionsoffensive auf einem deutlich erhöhten und zu verstetigenden Niveau.
Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu einer Vorrangpolitik für den Rad- und Fußverkehr mit entsprechenden Maßnahmen im öffentlichen Straßenraum. Wir brauchen eine Parkraumbewirtschaftung in verdichteten Innenstädten und Siedlungsbereichen, die dazu beiträgt den Autoverkehr zu vermeiden.
Im Hinblick auf die technologischen Möglichkeiten der Substitution von Diesel- und Benzin-Verbrennungsmotoren durch Gas-, Wasserstoff- und Elektroantriebe, eröffnet sich für den Individualverkehr eine neue Zeit. PKWs und LKWs einer neuen Generation können hinsichtlich ihrer klimaschädlichen und umweltbelastenden Wirkungen einen großen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme beitragen. Das darf aber nicht von den Notwendigkeiten der Priorisierung des Umweltverbundes ablenken.
Die Substitution alter Fahrzeuge und die Erneuerung der bestehenden Fahrzeugflotten sollte deshalb hinsichtlich ihrer technischen Ausstattung und der Reduzierung von Emissionen insbesondere im Bereich der Busse, der Nutzfahrzeuge, der LKWs und Kleintransporter beschleunigt werden.
Die Verknüpfung der Energiewende mit der Verkehrswende im Rahmen der Sektorenkopplung, dem Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur, der Weiterentwicklung der Speichertechnologien und einer noch deutlichen Erhöhung des Stromanteils aus der Erzeugung mit erneuerbaren Energieträgern, die ein solches System auch erst „umweltfreundlich“ werden lässt, ist aufwendig und wird noch längere Zeiträume in Anspruch nehmen. Solange der Strom für Elektrofahrzeuge aus Kohle- oder Atomkraftwerken stammt, kann dieses nicht als „umweltfreundlich“ bezeichnet werden.
Gleiches betrifft die Entwicklung einer digitalen Infrastruktur mit der die Verkehrsströme optimiert und für ganze Verkehrsnetze gesteuert werden könnten.
Schließlich bedarf die Fahrzeuge produzierende Industrie auch erheblicher Anpassungen, die weit reichende Strukturwandelerfordernisse für zahlreiche Standorte mit sich bringen werden.
Wir müssen uns über die spezifischen Erfordernisse der Stärkung des Umweltverbundes in den unterschiedlichen Räumen bewusst sein. In den Kernstädten der Stadtregionen geht es vornehmlich um die Reduzierung von Kapazitätsengpässen, in dünn besiedelten Regionen um die Aufrechterhaltung eines Mobilitätsangebotes als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Forderungen:
- Die Bundes-SGK setzt sich dafür ein, ein neues Gemeindeverkehrsfinanzierungssystem zu entwickeln, dass als gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden anzusehen ist. Zur Sicherung und Schaffung eines nachhaltigen Mobilitätsangebotes in den Regionen erwarten wir eine Investitionsoffensive von Bund und Ländern, die sowohl Erhaltungserfordernisse als auch Neubau beinhaltet.
- Die Weiterentwicklung des Bundesprogramms des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) mit der von der Bundesregierung bereits angefangenen Erhöhung der Mittel muss zu einer dauerhaften Regelfinanzierung für den Ausbau und Erhalt regionaler Verkehrsinfrastrukturen führen.
- Daneben bedarf es einer Grundfinanzierung des ÖPNV mit der beschleunigten Investition in neue Fahrzeuggenerationen. In den ländlichen Regionen muss die über die Schülerbeförderung aufgebaute Finanzierung mit in ein künftiges System integriert werden.
- Für den weiteren Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs in den Regionen sollte eine weitere Erhöhung der Regionalisierungsmittel aus der Bahnreform vorgesehen werden.
- In einem Investitionsprogramm sollte ein Sonderprogramm zur Erneuerung kommunaler Brücken- und Tunnelbauten und Rückstände in der Straßensanierung enthalten sein.
- Zum Einstieg in alternative Antriebsformen braucht es verstärkte Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Mobilität von Bussen und Nutzfahrzeugen.
- Mobilität ist auch eine zentrale soziale Frage. Insofern muss es darum gehen, bezahlbare Fahrpreise im ÖPNV zu gewährleisten. Die Länder sollten sich an den Kosten von Sozialtickets beteiligen.
- Die Bundes-SGK setzt sich für eine Rückgewinnung des öffentlichen Raums im Straßenraum ein. Es müssen mehr Mischverkehrsflächen geschaffen werden und es bedarf einer umfassenden Fahrradwegeoffensive.
- Die Bundes-SGK unterstützt Initiativen für ein besseres Mobilitätsmanagement, damit vorhandene Verkehrskapazitäten besser ausgenutzt werden können.