Rolle der Kommunen in einer zukunftsfähigen Pflege stärken.
Beschluss der digitalen Delegiertenversammlung der Bundes-SGK am 22. Januar 2022
Der demographische Wandel zählt zu den zentralen sozioökonomischen Herausforderungen der kommunalen Politik der nächsten Jahrzehnte. Seine Auswirkungen betreffen fast alle kommunalen Politikfelder. Antworten können nicht mehr sektoral, sondern nur in einer Querschnittsperspektive erarbeitet werden. Für eine mindestens bis zum Jahr 2050 kontinuierlich steigende Zahl an Pflegebedürftigen gilt es, bundesweit eine bedürfnisorientierte Versorgung zu gewährleisten. Ende 2016 erhielten knapp 3 Mio. Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. Nach der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der damit einhergehenden Ausweitung des Leistungsanspruchs waren Ende 2019 rund 4,25 Mio. Menschen pflegebedürftig.
Die meisten Pflegebedürftigen (ca. 81 Prozent, also rund 3,31 Mio.) wurden auch im Jahr 2019 zu Hause gepflegt, hiervon der weit überwiegende Teil (ca. 70 Prozent, rund 2,33 Mio.) allein durch Angehörige. Über 70 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Daneben hat die Pflegeversicherung aber auch zur Entwicklung eines breiten Angebots an professioneller Unterstützung für die häusliche und stationäre Pflege beigetragen. Ende des Jahres 2019 waren rund 14 700 ambulante Pflege- und Betreuungsdienste zugelassen, die insgesamt knapp 1 Mio. Pflegebedürftige versorgten und rund 422 000 Beschäftigte hatten (rund 288 000 Vollzeitäquivalente). Zugelassene Pflegeheime gab es bundesweit Ende des Jahres 2019 rund 15 400. Dort wurden rund 818 000 Pflegebedürftige versorgt. In den Pflegeheimen waren insgesamt rund 796 000 Personen beschäftigt (rund 577 000 Vollzeitäquivalente).
Wie die amtliche Sozialhilfestatistik zeigt, hat die Anzahl der Leistungsempfänger der Hilfe zur Pflege geringfügig zugenommen (2018 rund 299 000 und 2019 rund 302 000; Zahlen zum Jahresende). Dieser Anstieg ist aber geringer als vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den Leistungsausweitungen (insbes. Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs) zu erwarten gewesen wäre. Bezogen auf alle Pflegebedürftigen nahm der Anteil der Leistungsempfänger der Hilfe zur Pflege hingegen weiter ab (2018 rund 7,6 Prozent und 2019 7,3 Prozent) und ist damit deutlich niedriger als 2016 mit rund 11,8 Prozent. Im Jahr 2019 benötigten nur rund 1,6 Prozent der im häuslichen Bereich versorgten pflegebedürftigen Menschen und etwa 32 Prozent der stationär versorgten Pflegebedürftigen zusätzliche Leistungen der Sozialhilfe.
Prognosen zeigen, dass allein im Jahr 2050 bis zu 5,1 Millionen Pflegebedürftige erwartet werden. Gleichzeitig ist das familiäre Pflegepotenzial einem langfristigen Rückgang unterworfen. Dies wird insgesamt zu einem deutlich steigenden Bedarf an professioneller Pflege führen. Vor diesem Hintergrund haben Politik und Gesellschaft in der Altenpflege große Herausforderungen zu meistern.
Allerdings stehen den Kommunen im Bereich Pflege nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten in Planung, Beratung und Steuerung zur Verfügung, da mit der Einführung der Pflegeversicherung die Steuerungskompetenzen im Pflegesystem auf Bundes- und Landesebene zentralisiert wurden.
Die wesentlichen Rahmenbedingungen werden durch das SGB XI und in den einzelnen Landespflege- und Landesheimgesetzen festgelegt. Kommunale Pflichtaufgaben ergeben sich lediglich aus der Trägerschaft für die Hilfen zur Pflege (HzP) als einer Sozialhilfeleistung sowie der Zuständigkeit für die Heimaufsicht, sofern diese Aufgaben im Landesgesetz den Kommunen übertragen wurden. Einzelne Landesgesetze sehen darüber hinaus konkrete Pflegeplanungs-, Vernetzungs- oder Beratungspflichten für die Kommunen vor. In den SGB XI und XII werden den Kommunen zusätzlich eine Mitverantwortung für die pflegerische Versorgung der Bevölkerung sowie nicht weiter spezifizierte Aufgaben der Altenhilfe zugewiesen. Immer mehr Kommunen beschäftigen sich in den letzten Jahren trotz dieser insgesamt beschränkten rechtlichen Verantwortung verstärkt mit der Pflegethematik, weil die Bürger hier zunehmend Unterstützung erwarten und in vielen Kommunen zudem die Ausgaben für die Hilfen zur Pflege stark ansteigen.Kommunen sind jedoch aufgrund ihrer Kenntnisse und aufgrund ihrer originären Zuständigkeiten gut geeignet in diesem Feld der Versorgung für ihrer Bürger:innen eine stärke Rolle zu übernehmen. Um die Pflege zukunftsfähig zu gestalten sollte daher die Rolle der Kommunen weiter gestärkt werden. Daher erachten wir es als notwendig, dass:
- Stationäre und ambulante Pflege enger verzahnt werden und damit eine moderne sektorenübergreifende Pflegepolitik für die Bürgerinnen und Bürger möglich wird.
- Kommunen mehr Kompetenz in der Planung, Steuerung, Beratung und Entscheidung im Bereich Pflege und Pflegevermeidung erhalten. Nur so kann eine sozialräumlich orientierte Pflegeinfrastruktur erreicht werden, die auf dem Land anders aussehen muss als in der Stadt. Dies kann z.B. durch die verpflichtende Berücksichtigung der kommunalen Pflegeplanung bei der Zulassung von Pflegeeinrichtungen realisiert werden.
- Kommunen finanziell so auskömmlich ausgestattet werden, dass Gesundheitsförderung und Prävention vor Ort adäquat umgesetzt werden können, denn diese können wirkungsvoll Pflegebedürftigkeit vermeiden, verhindern oder hinauszögern.
- Bund und Länder gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen mit den Pflegekassen und Kommunen in die Lage versetzt werden gemeinsame, aufeinander abgestimmte und integrierte Beratungsstrukturen zu schaffen und zu unterhalten.
- Kommunen verstärkt in die Prozesse zur Anerkennung von niedrigschwelligen Angeboten zu Pflege eingebunden werden.
- Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mehr als bisher von steigenden Eigenanteilen in der Pflege durch eine veränderte Pflegeversicherung entlastet werden. Die Pflegeversicherung sollte die pflegebedingten Aufwendungen vollständig abdecken. Insoweit sind die Überlegungen zu einer Pflegevollversicherung zu begrüßen.