Positionspapier
Beschlüsse Vorstand

Positionspapier "Kommunalpolitische Anforderungen an eine sozialpolitische Weiterentwicklung des SGB II und seiner vorgelagerten Sicherungssysteme"

2. Dezember 2019

Im Rahmen der durch den SPD Parteivorstand geführten Diskussion um eine grundlegende Reform des Sozialstaates hat sich die Bundes-SGK in ihren Gremien intensiv mit den Reformvorschlägen auseinandergesetzt. Der Vorstand der Bundes-SGK und die Kommission „Soziales" beim Vorstand der Bundes-SGK haben daraufhin zentrale Anforderungen an eine Weiterentwicklung des SGB II und seiner vorgelagerten Sicherungssysteme in einem modernen Sozialstaat zusammengefasst.

Erstens – das Individualprinzip: Eine wie in dem Papier skizzierte umfassende Sozialstaatsreform kann nur auf der Lösung vom Bedarfsgemeinschaftsprinzip hin zu einem Individualprinzip basieren.

Zweitens – gerechte Entlohnung: Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2014 zählt zu den wichtigsten sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der letzten Jahrzehnte. Die Festsetzung des Mindestlohns durch eine unabhängige Kommission in Zusammenarbeit mit den Tarifparteien und unter wissenschaftlicher Begleitung hat sich als Erfolg herausgestellt. An diesem Prinzip sollte, um einen politischen Überbietungswettbewerb zu verhindern, weiter festgehalten werden.

Drittens – Anerkennung von Lebensleistung: Ein moderner Sozialstaat muss sich der Frage nach der Anerkennung von Lebensleistungen stellen. Es handelt sich um eine Gerechtigkeitsfrage ob man 35 Jahre oder nur wenige Monate oder Jahre in die Sozialversicherung eingezahlt hat. Daher sollten Leistungen des Dritten Sozialgesetzbuches länger wirken. Wer ein Jahr gearbeitet hat sollte ein Jahr Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, je weiteres Jahr sollte ein Anspruch von einem weiteren Monat entstehen. Einem Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes folgend könnte die maximale Bezugsdauer 44 Monate betragen.

Viertens – Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung: Lebenslanges Lernen war stets Anspruch einer sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialpolitik. Neben der Forderung nach einem allgemeinen Recht auf Erstausbildung kann es nur folgerichtig sein, dass auch in Zeiten von Erwerbslosigkeit die Möglichkeit zur individuellen Weiterqualifizierung gegeben ist.

Wem keine zeitnahe Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht werden kann, soll einen Rechtsanspruch auf eine adäquate berufliche Qualifizierungsmaßnahme bis hin zur Umschulung genießen. Während der Zeit der Weiterbildung ist ein Verbleib im Leistungsbezug nach dem SGB III unabdingbar. Nur so kann eine Konzentration auf die Weiterbildung gesichert werden, ohne dass gleichzeitig die Absicherung der Existenz alle Aufmerksamkeit bindet. Für Alleinerziehende sollten die Möglichkeiten für Aus- und Weiterbildung in Teilzeit gestärkt werden. Die Agentur für Arbeit sollte schrittweise in eine Agentur für Arbeit und Qualifizierung umstrukturiert werden, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden.

Fünftens – Sozialer Arbeitsmarkt: Durch das im Teilhabechancengesetz verankerte Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt" wurde durch die Bundesregierung bereits ein Regelinstrument für den sozialen Arbeitsmarkt implementiert. Langzeitarbeitslose Menschen erhalten damit eine neue Perspektive, die Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft. Dieses Instrument gilt es nun zu verstetigen und den Zugang durch Erweiterung des Personenkreises zu erleichtern. Vermittlungsbemühungen in den ersten Arbeitsmarkt sollen aus der Arbeit heraus geschehen.

Sechstens - Kindergrundsicherung: Es stellt eine enorme Ungerechtigkeit dar, dass kinderbezogene Leistungen unterschiedlich verteilt werden und Kinder von Menschen mit höherem Einkommen über einen Steuerfreibetrag besser gestellt werden als Kinder mit Regelsatz, Kinderzuschlag oder Kindergeld. Es ist falsch, Leistungen für die schulische und persönliche Entwicklungen eines Kindes über ein Arbeitsmarktförderungsinstrument zu erbringen. Daher bedarf es der Einführung einer Kindergrundsicherung. In dieser können die vielfältigen, bereits existierenden kinder- und familienbezogenen Leistungen (wie z.B. dem Kindergeld, dem Kinderzuschlag, dem Unterhaltsvorschuss oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket) gebündelt werden. Jedes Kind muss unserer Gesellschaft gleich viel wert sein.

Siebentens –Wohnen: Steigende Wohnkosten, vor allem in den Ballungsgebieten, führen in immer mehr Fällen zur Abhängigkeit von Sozialleistungen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, bedarf es der Schaffung von günstigem, bezahlbarem Wohnraum. Durch die Umstrukturierung und Erhöhung des Wohngeldes könnte hier übergangsweise Abhilfe geschaffen werden. Sinnvoll wäre eine Erhöhung des Wohngeldes gekoppelt mit der Einführung des Individualprinzips und einer Anpassung der Bagatellgrenzen oder der Zusammenführung des durch den Bund und die Länder getragenen Wohngeldes mit dem durch die Kommunen finanzierten Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch. Mit diesen Maßnahmen könnte durch die Inanspruchnahme des vorgelagerten, erhöhten Wohngeldes ein Bezug von Sozialleistungen vermieden werden.

Achtens - Grundrente: Das vom Minister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil vorgelegte Konzept einer Grundrente, das die Lebensarbeitszeit, die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Pflege- und Erziehungszeiten berücksichtigt, garantiert nach dem Erwerbsleben ein Auskommen über dem Niveau der Grundsicherung im Alter.

Neuntens - Schonvermögen: Die Regelungen zur Vermögensanrechnung haben maßgeblich zur gesellschaftlichen Ablehnung der vergangenen arbeitsmarktpolitischen Reformen beigetragen. Das Schonvermögen sollte deshalb angehoben werden. Neben dem bereits im Zweiten Sozialgesetzbuch verankerten, nicht verwertbaren Vermögen sollten Beiträge zur Altersversorgung sowie selbstgenutzter Wohnraum dem Schonvermögen zugerechnet werden. Dies stellt einen wirksamen Beitrag zum Schutz vor Altersarmut dar.

Beschluss des Vorstandes der Bundes-SGK am 29. November 2019