Positionspapier
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Positionspapier "Für eine humanitäre und solidarische Flüchtlingspolitik: Handlungserfordernisse aus kommunaler Sicht"

28. November 2014

Die aufgrund internationaler Krisen dramatisch ansteigenden und auf hohem Niveau anhaltenden Flüchtlingsströme verlangen von Deutschland und Europa eine humanitären Grundsätzen verpflichtete Politik der internationalen Solidarität. Menschen, die an Leib und Leben in ihrer Heimat bedroht sind oder dort diskriminiert werden, müssen bei uns Aufnahme finden. Sie haben hierzulande ein Anrecht auf eine menschenwürdige Existenz.

Es ist deshalb richtig, dass die SPD fest zu ihren Prinzipien einer humanitären Flüchtlingspolitik steht, so wie diese zuletzt in dem gleichlautenden Grundsatzpapier des Parteivorstandes 2013 formuliert wurden. Die Bundes-SGK war an der Erarbeitung dieser Grundsätze beteiligt, unterstützt sie und beteiligt sich an ihrer Weiterentwicklung. So macht es die aktuelle Situation mit rund 200.000 Flüchtlingen pro Jahr zwingend erforderlich, die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Herausforderung hoher und weiter steigender Flüchtlingszahlen auch ganz praktisch im Alltag der Menschen gemeistert werden kann.

Derzeit führt die Zunahme der Flüchtlingszahlen vielerorts zu überlasteten Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder. Zugleich übersteigt die häufig sehr schnelle Weiterleitung zur dezentralen Unterbringung die kommunalen Kapazitäten. Provisorien und hohe Unterbringungskosten sind die Folge, obgleich für viele der ankommenden Menschen zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärt ist, ob sie ein begründetes Asylbegehren geltend machen können. Zugleich ist die Kostenerstattung für die Städte, Kreise und Gemeinden in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt und gemessen an den realen Ausgaben zum Teil völlig unzureichend. Hinzukommen notwendige Aufwendungen für soziale und psychosoziale Betreuung, Kita- und Schulbesuch, Leistungen der Jugendhilfe und die gesundheitliche Versorgung. Darüber hinaus stellt die hohe und sich örtlich meist in größeren Städten konzentrierende Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine große Herausforderung dar.

Dabei ist zu bemerken, dass die gesellschaftliche Akzeptanz und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen sehr hoch ausgeprägt ist. Eine Vielzahl von zivilen Initiativen und Angeboten unterstreichen das. Trotzdem erleben wir, dass rechtskonservative und rechtsextreme Parteien aggressiv in der Öffentlichkeit Stellung beziehen. Sie versuchen breite Bevölkerungskreise argumentativ anzusprechen und damit in Milieus einzudringen, die klassischer Weise den Volksparteien und der SPD zuneigen. Dies stellt vielerorts im Vergleich zu früheren Erfahrungen eine neue Qualität dar, vor allem wenn es rechten Parteien gelingt, scheinbar einfache Zusammenhänge zwischen finanziellen Problemen einer Kommune und einer wachsenden Zuwanderung herzustellen.

Diesem Populismus darf man nicht nachgeben, muss jedoch die Faktoren im Blick behalten, die eine solche Argumentation begünstigen. Deshalb ist es notwendig, ein besonderes Augenmerk auf praktikable und der zügigen Integration von Zuwandernden dienenden Maßnahmen zu legen. Dies beginnt mit einer zügigen, menschenwürdigen und die aufnehmende Gesellschaft nicht überfordernden Unterbringung und reicht bis hin zu einer schnellen Integration in Bildung, Schule und Arbeit. Die beste Reaktion auf rechten Populismus ist der Beweis einer funktionierenden Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Zuwandernden.

Vor diesem Hintergrund weisen die auf den Weg gebrachten gesetzlichen Regelungen zu sicheren Drittstaaten, zu einer erleichterten Arbeitsaufnahme und zur Anpassung des Asylbewerberleistungsgesetzes in die richtige Richtung. Ähnliches gilt für den Maßnahmenkatalog, um die von innereuropäischen Armutszuwanderung betroffenen Städte zu unterstützen. Aus kommunaler Sicht müssen diese Schritte in den Kontext einer längerfristigen Verantwortungsgemeinschaft aller staatlichen Ebenen gestellt werden. Bund, Länder und Kommunen müssen zusammenwirken, um Flüchtlingsströme und Zuwanderung sinnvoll zu bewältigen. Dies beinhaltet

  1. unmittelbar und kurzfristig die Unterstützung der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung,
  2. die Herstellung eines konsistenten Rechtsrahmens, der Integration fördert, sowie
  3. eine faire Kosten- und Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Unabhängig davon bedarf es einer europäischen und internationalen Politik, die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpft. In diesem Zusammenhang ist der Bund gefordert, um die bestehende ungleiche Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten der EU zu verändern, etwa durch die Realisierung von Aufnahmequoten. Unter dieser Prämisse wäre die Bundesrepublik Deutschland auch in der Lage, die eigene Aufnahmequote nochmals zu erhöhen, um den humanitären Erfordernissen insgesamt nachzukommen.

(1)    Unmittelbare und kurzfristige Hilfen bei Aufnahme und Unterbringung

  • Verkürzung der Verfahrensdauer für Asylanträge, dafür weitere und stetige Verstärkung der Personalausstattung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit dem Ziel eines Abbaus anhängiger Verfahren und der mittelfristigen Reduzierung der durchschnittlichen Verfahrensdauer auf drei Monate.
     
  • Verbesserung der gesetzlichen Regelungen zur zügigen Rückführung in die Heimatstaaten bei rechtskräftig abgelehnten Asylanträgen, etwa bei Angehörigen sog. sicherer Dritt- bzw. Herkunftsstaaten, und möglichst keine dezentrale Zuweisung an die Kommunen der Menschen aus diesen Ländern vor dem Abschluss ihrer Asylverfahren.
     
  • Schaffung weiterer Erstaufnahmekapazitäten der Länder, mit dem Ziel, dass Flüchtlinge bis zu drei Monate dort verbleiben können; keine Weiterleitung und dezentrale Unterbringung von Menschen, die ein offensichtlich unbegründetes Asylbegehren vorbringen.
     
  • Im Gegenzug noch größere Anstrengungen der Kommunen, um die zur Aufnahme zugewiesenen Menschen mit definierter Bleibeperspektive nachhaltig in die Gesellschaft zu integrieren – Verpflichtung von Bund und Ländern , unter Beteiligung der Kommunen die voraussichtlichen Integrationskosten (im Sinne von Zukunftskosten) zu ermitteln und einer gerechten Lastenverteilung im Sinne der Verantwortungsgemeinschaft zuzuführen.
     
  • Zügige Umsetzung der Gesetzgebung zur befristeten Flexibilisierung der bauplanungsrechtlichen Vorgaben für die Errichtung und den Betrieb von Aufnahmeeinrichtungen.
     
  • Unbürokratische Hilfe durch die schnelle Bereitstellung von nicht anderweitig genutzten und vor Ort für die Flüchtlingsunterbringung benötigte Immobilien des Bundes und der Länder; hierbei neue und besondere Verantwortung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA).
     
  • Erhöhung und bedarfsgerechte Ausstattung der Budgets für Sprach- und Integrationskurse des BAMF mit einem erhöhten Anteil auch von niedrigschwelligen Angeboten; bei der Realisierung und konkreten Umsetzung der Angebote stärkere Einbeziehung der Kommunen, um den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort Rechnung zu tragen – Prüfung von Beauftragungsmodellen, um den Kommunen einen direkten Vollzug und die Koordination in der örtlichen Durchführung zu ermöglichen.
     
  • Beteiligung des Bundes an der Bewältigung besonderer Lasten der Kommunen infolge von Zuwanderung und Integration  sowie zur spezifischen Hilfe bei besonderer örtlicher Betroffenheit.  

(2)    Herstellung eines integrationsfreundlichen Aufenthalts-, Arbeits- und Leistungsrechts

  • Erfordernis eines Einwanderungsrechts für Deutschlands, dass es Menschen aus dem Ausland ermöglicht, in einem geregelten Verfahren legal einreisen und eingebürgert zu werden, ohne sich illegal oder auf dem Weg als Asylbewerber/in nach Deutschland zu begeben.
     
  • Daneben Herstellung eines konsistenten Aufenthalts-, Arbeits- und Leistungsrechts mit möglichst einheitlichen und kongruenten Fristen/Zeiten der Ankunft und Erstunterbringung, der Bescheidung von Asylbegehren und des Vollzugs von ausreisepflichtigen Personen sowie der dezentralen Verteilung und
     
  • Dauerhaft Reduzierung des Asylbewerberleistungsrechts bzw. vergleichbarer Nachfolgeregelungen auf den Zeitraum einer Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder und bis zum Abschluss regelhafter Asylverfahren – mit der dezentralen Zuteilung an die Kommunen dann auch Überführung der Personen in die sozialen Regelsysteme nach dem SGB II und SGB XII.
     
  • Mit Beendigung der zentralen Unterbringung, spätesten aber nach dem Abschluss eines in der Bearbeitung beschleunigten Asylverfahrens umfassender Arbeitsmarktzugang (mit einer in der Anwendungsdauer weiter reduzierten Vorrangprüfung).
     
  • Schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen zur Erleichterung des Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt.
     
  • Unterstützung  ; dabei jedoch Wahrung der öffentlichen und staatlichen Letztverantwortung für eine angemessene und dauerhafte Unterbringung ebenso wie Beachtung der notwendigen Integrationsvoraussetzungen an den Orten einer privaten Aufnahme (u. a. Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten, örtliche Mobilitäts- und Freizeitangebote, Gelegenheit zum Zusammentreffen mit Menschen gleicher Herkunft); zugleich Gewährleistung einer kommunalen Begleitung und Unterstützung solcher Initiativen.

(3)    Faire Lastenverteilung bei der Flüchtlingsaufnahme und Finanzierung von materiellen Leistungen

  • Ermöglichung einer Unterbringung außerhalb des eigenen Bundeslandes oder der eigenen Kommune auf der Basis entsprechender freiwilliger Vereinbarungen zwischen den Gebietskörperschaften bei fortbestehender Kostenträgerschaft und unter Beachtung örtlicher Integrationsvoraussetzungen.
     
  • Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen zur bedarfs- und leistungsgerechten (Um-)Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach gängigen Maßstäben zwischen den Ländern und den Kommunen (interkommunale Umverteilung, Zuständigkeitswechsel) unter strikter Beachtung des individuellen Kindeswohls und der Standards der Jugendhilfe.
     
  • Problem- und sachadäquate Neuaufstellung der Finanzierungsträgerschaft von materiellen Leistungen für Asylbewerber/innen und Flüchtlingen, aber auch für andere Zuwandernde, soweit sie zeitweise oder dauerhaft von staatlichen Leistungen abhängig sind:
     
  • kostendeckende Erstattung für die Aufnahme und Unterbringung zunächst durch die Länder, einschließlich der Kosten für die notwendige soziale und psychosoziale Betreuung, die Aufwendungen für den Schulbesuch der Kinder sowie die Kosten der Jugendhilfe und der gesundheitlichen Versorgung;
     
  • darüber hinaus Beteiligung des Bundes an der Kostenträgerschaft von Leistungen nach dem AsylbLG bzw. an/von künftigen Leistungen an Asylbewerber/innen und an der Finanzierung integrativer Maßnahmen; zugleich dauerhafte Regelung zur Beteiligung an der Unterbringung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen;
     
  • verbesserte, unbürokratischere und diskriminierungsfreie Finanzierung des Gesundheitsschutzes von Flüchtlingen durch Abwicklung der Gesundheitsleistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen und Übernahme der Erstattung dieser Gesundheitskosten durch den Bund;
     
  • ausreichende Ausstattung und zeitnahe Aufstockung der Kapazitäten in den Regelsystemen insbesondere im Bildungsbereich durch die Länder.
     
  • Intensive Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern zur Unterstützung einer im örtlichen Marktumfeld verträglichen Integration von Asylbewerber/ innen in den Arbeitsmarkt (vgl. dazu auch die lfd. Modellprojekte von BA und BAMF).
     
  • Ausreichende Personalressourcen und Eingliederungsmittel im Rahmen des SGB III und des SGB II, um eine zügige Übernahme von Flüchtlingen in die Regelsysteme nach dem Sozialgesetzbuch bewältigen und ihre Arbeitsmarktintegration effektiv unterstützen zu können.

Beschluss des Vorstandes der Bundes-SGK
vom 28. November 2014