Im Juli 2013 haben Verhandlungen für eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP: Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der Europäischen Union und den USA begonnen. Ziel eines solchen Freihandelsabkommens ist es, den Handel von Waren und Dienstleis-tungen zwischen der Europäischen Union und den USA zu verstärken. Durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemnissen soll Wirtschaftswachstum und Beschäftigung befördert werden. Die Verhandlungen werden für die europäische Seite von der Europäischen Kommission geführt, die hierfür von den EU-Mitgliedstaaten ein Verhandlungsmandat erhalten hat, das einen inhaltlichen und politischen Rahmen für die Verhandlungsführung vorgibt. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Verhandlungen, wie geplant, bis Ende 2015 abgeschlossen sein können.
Gemäß den Bestimmungen des Lissabonner Vertrages muss neben dem Rat der EU auch das Europäische Parlament dem Verhandlungsergebnis zustimmen, damit das Abkommen in Kraft treten kann. Sollte TTIP aber auch Kompetenzen der EU-Mitgliedsstaaten berühren, würde es sich um ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“ handeln und müsste somit auch von den nationalen Parlamenten aller 28 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Sowohl die Bundesregierung als auch der zuständige Handels-kommissar der EU, Karel van Gucht, gehen derzeit davon aus, dass dies der Fall sein werde. Kommissar van Gucht will diese Frage vom Europäischen Gerichtshof in einer Grundsatzentscheidung klären lassen. Im Falle einer Klassifizierung als gemischtes Abkommen würden somit auch der Bundestag und der Bundesrat das Abkommen ratifizieren müssen. Dabei gilt für alle beteiligten Akteure an der Ratifizierung, also Europäisches Parlament und Rat – und im Falle einer Klassifizierung von TTIP als „gemischtes Abkommen“ – auch die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten, dass das Verhandlungsergebnis nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden kann.
Chancen nutzen, aber keine Absenkung von Standards
Die Bundes-SGK begrüßt grundsätzlich die Beförderung von Wachstum und Beschäftigung durch ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Aus Sicht der Bundes-SGK müssen dabei jedoch stets die Einhaltung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, die Sicherung der hohen Qualität und die Funktionsfähigkeit der kommunalen Daseinsvorsorge sowie die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards und ein qualitativ hoher Verbraucherschutz gewährleistet werden.
Darauf will die Bundesregierung achten. Bereits im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien betont, dass sie „auf die Sicherung der Schutzstandards der Europäischen Union insbesondere im Be-reich des Datenschutzes, der europäischen Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelstandards sowie auf den Schutz von Verbraucherrechten und öffentlicher Daseinsvorsorge sowie von Kultur und Medien Wert legen“ werden.
Kommunale Daseinsvorsorge sichern
Die kommunale Daseinsvorsorge, insbesondere die öffentliche Wasserver- und Entsorgung, sowie die Bereiche Abfall und Öffentlicher Personennahverkehr, ebenso wie soziale Dienstleistungen und die kommunale Kulturförderung, muss grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA sowie allen künftigen Handelsabkommen ausgeschlossen werden. Gemäß den Prinzipien der kommunalen Selbstverwaltung und der Subsidiarität muss es weiter in der Definitions- und Gestaltungshoheit der Kommunen liegen, wie sie eine öffentliche Dienstleistung erbringen, ob sie diese selbst erbringen, ein kommunales Unternehmen damit betrauen oder die Erbringung der Dienstleistung durch Dritte wahrnehmen lassen. Dies wird auch im Protokoll Nr. 26 zum Ver-trag von Lissabon betont. In Bezug auf Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unter-streicht es explizit die wichtige Rolle und den weiten „Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“.
Eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Städte, Gemeinden und Kreise bei der Sicherung gemeinwohlorientierter Dienstleistungen oder gar einen unmittelbaren oder mittelbaren Zwang zu Privatisierungen von Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge darf es unter keinen Umständen geben. Dies würde auch von den Bürgerinnen und Bürgern nicht akzeptiert, wie die Debatte um die Anwendung der Dienstleistungskonzessionsrichtlinie auf den Bereich der Wasserversorgung eindrucksvoll gezeigt hat.
Aus Sicht der Bundes-SGK kann eine grundsätzliche Herausnahme der kommunalen Daseinsvorsorge aus dem Anwendungsbereich von TTIP durch die Anwendung einer sogenannten Positivliste erreicht werden. In einer solchen Positivliste würden die Bereiche explizit aufgelistet werden, auf die das Abkommen Anwendung findet. Die Bereiche Wasserwirtschaft, Müllentsorgung, die Gesundheitsversorgung, das Schul- und Bildungswesen, kommunale Kultureinrichtungen etc. dürften somit nicht dazu gehören. Die von den USA bevorzugte „Negativliste“, die eine Aufzählung von Ausnahmebereichen vorsieht, lehnen wir – ebenso wie die kommunalen Spitzenverbände – ab, da sie unpraktikabel ist und das Risiko birgt, im Vorhinein schwer absehbare Deregulierungszwänge auszulösen. Durch die Unter-schiedlichkeit der Leistungen und Erbringungsformen der kommunalen Daseinsvorsorgeleistungen in den 28 Mitgliedstaaten der EU sowie historisch gewachsener und bewährter Strukturen kann es eine vereinheitlichende Definition solcher Leistungen nicht geben.
Darüber hinaus muss auch darauf geachtet werden, dass die Organisationsfreiheit der Kommunen nicht durch eine sogenannte Marktzugangsverpflichtung mittelbar eingeschränkt werden kann. Der Deutsche Städtetag weist darauf hin, dass eine solche Marktzugangsverpflichtung lokale Monopole und ausschließliche Dienstleistungserbringer verbiete. Somit könne einer Kommune zwar nicht vorgeschrieben werden, wie sie die öffentliche Daseinsvorsorge zu erbringen habe. Die Marktzugangsverpflichtung könne jedoch dazu führen, dass neben den kommunalen auch private Unternehmen die Daseinsvorsorgeaufgaben wahrnehmen können müssten und Rechtsformeinschränkungen für die Erbringung nicht zulässig seien.
Keine Investitionsschutzklausel in TTIP
Eine sogenannte Investitionsschutzklausel mit außergerichtlichen Schiedsverfahren bei Streitigkeiten, so wie von EU-Kommission und den US-Verhandlungsführern in TTIP vorgesehen, lehnt die Bundes-SGK grundsätzlich ab. Investitionsschutzklauseln sind ein Instrument gegen willkürliche Diskriminierungen oder gar Enteignungen von Investoren in Abkommen mit Ländern, in denen kein funktionierendes Rechtssystem besteht. Die Schiedsgerichte im Rahmen von Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen (ISDS) werden jedoch nicht von Staaten eingesetzt und sind sehr intransparent. Konzerne können dieses außergerichtliche Verfahren nutzen, um gegen unliebsame Gesetze vorzugehen, die von Staaten nach den Prinzipen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erlassen werden. Dabei kann es zu hohen Schadensersatzforderungen gegenüber Staaten kommen, gegen die keine Berufung möglich ist. Eine Investitionsschutzklausel könnte sich auch auf kommunales Handeln auswirken, wenn beispielsweise ein Unternehmen durch eine kommunale Regelung/Maßnahme eine Beeinträchtigung seiner Investi-tion sieht und ein solches nicht-öffentliches Schiedsgericht anruft mit dem Ziel, Schadenersatz für vermeintlich entgangene Einkünfte einzufordern.
Wir unterstützen und begrüßen die Position von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der spezielle Investitionsvorschriften in TTIP für nicht erforderlich hält, da sowohl in der EU als auch in den USA ein hinreichender Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewährleistet wird.
Mittlerweile hat die EU-Kommission, wohl aufgrund der Haltung einiger Regierungen und der eindeutig ablehnenden Position der Sozialdemokraten und anderer Fraktionen im Europäischen Parlament, gegenüber einer Investitionsschutzklausel in TTIP sowie öffentlicher Kritik, Ende März 2014 die Verhandlungen in diesem Bereich temporär unterbrochen und eine öffentliche Konsultation zum Thema Investitions-schutz begonnen.
Transparenz und Information sicherstellen, Dialog fördern
Es hat in den vergangenen Monaten sehr viel Kritik an der Informationspolitik der Europäischen Kommission zum Fortgang der Verhandlungen gegeben. Aus Sicht der Bundes-SGK muss sichergestellt wer-den, dass Kommunen und Zivilgesellschaft über die Verhandlungsergebnisse fortlaufend informiert werden. Wir unterstützen daher die Aussage von Bundeswirtschaftminister Sigmar Gabriel, der im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen festgestellt hat, dass „über sensible, politisch strittige Fragen [soll] eine unvoreingenommene und ergebnisoffene Debatte mit Beteiligung von Wissenschaft
und Zivilgesellschaft geführt werden“ sollte. Der im Mai 2014 beim Bundeswirtschaftsministerium konstituierte nationale TTIP-Beirat, in den auch der Städtetagspräsident und Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Dr. Ulrich Maly, berufen wurde, ist ein guter Weg, um einen Dialog zum Fortgang der Verhandlungen mit wichtigen zivilgesellschaftlichen Stakeholdern zu gewährleisten. Darüber hinaus sollten die EU-Kommission und die Bundesregierung die kommunalen Spitzenverbände auch fortlau-fend über den Verlauf und die Ergebnisse der Verhandlungen informieren.
Da TTIP voraussichtlich als „gemischtes Abkommen“ klassifiziert wird und somit auch die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten das Abkommen ratifizieren müssten, sind auch Bundestag und Bun-des¬rat aufgefordert, mit besonderer Wachsamkeit auf die Anliegen der Kommunen in TTIP zu achten und die kommunale Familie in den Prozess der Prüfung der Verhandlungsergebnisse vor der Ratifi-zierung einzubinden.
Beschluss des Vorstandes der Bundes-SGK
vom 27. Juni 2014