Positionspapier
Beschlüsse Delegiertenversammlung

Positionspapier "Energiewende erfolgreich gestalten"

Forderungen an Bund, Länder und die europäische Politik
15. Februar 2013

Nach der Katastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 hat die Bundesregierung ihren energiepolitischen Kurs drastisch verändert. Anstelle des Wiedereinstiegs in die Atomenergie wurde der Atomausstieg endgültig gesetzlich festgeschrieben. Das Ziel eines Umbaus der Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energieträger bezog sich damit nicht mehr nur auf Erreichung der Klimaschutzziele, sondern wurde entsprechend erweitert. Dieser als „Energiewende“ bezeichnete Prozess des Umbaus der Energiewirtschaft und ihrer Infrastruktur ist mit ambitionierten Zielen verbunden.

Bis spätestens 2022 soll der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgt sein. Die Anteile der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch sollen mindestens erhöht werden: auf 35 % bis spätestens 2020, auf 50 % bis spätestens 2030, auf 65 % bis spätestens 2040 und auf 80 % bis spätestens 2050. Der Anteil des Stroms aus hocheffizienten KWK-Anlagen soll von 15% in 2010 auf 25 % in 2020 gesteigert werden.

Im Klimaschutz geht Deutschland national mit ehrgeizigen Emissionsreduktionszielen voran: Die klimaschädlichen Emissionen sollen gegenüber dem Basisjahr 1990 bis 2020 um 40 Prozent, bis 2030 um 55 Prozent, bis 2040 um 70 Prozent und schließlich bis 2050 um 80 bis 95 Prozent sinken. Umgesetzt werden soll dies durch das langfristig angelegte nationale Energiekonzept.

Aufgrund der technologischen Eigenschaften der Erneuerbaren Energien und der Liberalisierung der Energiemärkte verbindet sich die Energiewende mit einer deutlichen Dezentralisierung der Energieversorgungsstrukturen. Insofern kommt den Regionen und Kommunen eine besondere Rolle bei der Umsetzung der Energiewende zu. Hierin liegen ein Gestaltungsauftrag und eine Gestaltungschance für Städte, Gemeinden und Kreise.

Die Energiepolitik der Bundesregierung bietet dafür allerdings einen völlig unzureichenden Rahmen. Es mangelt an Koordinierung, Klarheit über Verfahren und künftige Rahmenbedingungen. Daraus resultieren Planungs- und Investitionsunsicherheiten mit entsprechender Investitionsrückhaltung. Die Ankündigung von Reformen (z.B. des EEG) in der nächsten Legislaturperiode und die Einberufung „Runder Tische und Plattformen“ reichen uns nicht aus. Die Bundes-SGK hat deshalb eine Reihe von Forderungen an die Politik der EU, des Bundes und der Länder aufgestellt, die aus Sicht der Kommunen erfüllt werden müssen, um die Energiewende zu einem Erfolg zu führen:

  1.  Die Energiewende als schrittweise Ersetzung konventioneller und fossiler Energieerzeugung durch Erneuerbare Energien muss endlich als gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe begriffen und auch so vom Bund in seiner Koordinations-verantwortung wahrgenommen werden. Leitende Ziele müssen dabei die Erfordernisse der Versorgungssicherheit, der Bezahlbarkeit und der Umweltverträglichkeit sein. Die Energiewende lässt den Kommunen und Ihren Unternehmen aufgrund ihrer dezentralen Möglichkeiten eine besondere Rolle zukommen. Es sind auch die Kommunen, die durch ihre Kenntnis der lokalen Rahmenbedingungen Energiedienstleistungen nachfrageorientiert und produktunabhängig anbieten können, um den Zielen der Energieeinsparung und Energieeffizienzsteigerung gerecht zu werden.
     
  2. Angesichts der Komplexität der Energiewende und ihrer verschiedenen Maßnahmen ist ein detaillierter Maßnahmenplan derzeit nicht realistisch. Notwendig ist indes als wesentliche Aufgabe der Koordinierung seitens des Bundes ein umsetzungsorientierter, stetig fortzuschreibender Aktionsplan, der Projekte, Meilensteine und Zielkonflikte formuliert und das Zusammenwirken der beteiligten Akteure von Bund, Länder, Kommunen, der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Forschung und Entwicklung definiert.
     
  3. Die Bundesregierung muss die Verantwortung für die organisatorische Koordinierung und Planung der Energiepolitik auf nationaler Ebene übernehmen. Die Bundesregierung wird zu Recht dafür kritisiert, dass es in der Energiepolitik an einer einheitlichen Koordinierung und Ausrichtung fehle, die keine Investitions- und Planungssicherheit schaffe. Die zersplitterte Zuständigkeit von Wirtschaftsministerium, Umweltministerium und Bau- und Verkehrsministerium sowie der Bundesnetzagentur führt zu erheblichen Abstimmungs- und Bürokratieproblemen. Insofern forderte bereits die Ethikkommission eine einheitliche Koordinierung der Energiewende auf Bundesebene. Deshalb fordern wir ein federführendes Energieministerium in der Bundesregierung. Hinzutreten müssen verbindliche Strukturen und Verfahren zwischen den weiterhin beteiligten Ressorts sowie für die Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und der Wirtschaft. Ein Energieministerium muss mit dem oben benannten Aktionsplan und daraus abgeleiteten Projektsteuerungsfunktionen ein Instrumentarium erhalten, um die Energiewende als gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftlich bedeutsame Querschnittsaufgabe federführend zu koordinieren.
     
  4. Für die inhaltliche Abstimmung ist in Anbetracht der Bedeutung der Energiewende eine mehrstufige Koordinierung einer dezentralisierte Energiepolitik erforderlich. Dazu zählt der Aktionsplan auf Bundesebene für die Steuerung des Gesamtprozesses. Die inhaltliche Ausgestaltung erfolgt schrittweise und wird durch kommunal verfasste regionale Energieversorgungskonzepte in den Ländern konkretisiert. Die regionalen Energieversorgungskonzepte sollten auf örtlicher Ebene durch siedlungsbezogene integrierte Konzepte zur Steigerung der Energieeffizienz und für Investitionsmaßnahmen in dezentralisierte Erzeugung von Strom, Wärme und Speicher ergänzt werden.
     
  5. In der Raumordnung und Landesplanung sollen die Ziele der Energiewende auch als Ziele der Raumordnung und Landesplanung festgeschrieben und raumordnerische und planerische Anforderungen in entsprechenden Runderlässen formuliert werden, wie z.B. im Windenergieerlass NRW. Auf kommunaler Ebene müssen die Inhalte der Energiefachplanung mit der kommunalen Bauleitplanung vergleichbar der Landschaftsplanung verzahnt werden.
     
  6. Es muss ein Markt- und Ordnungsmodell entwickelt werden, welches für die noch längerfristig erforderlichen – insbesondere neuen, flexibel reaktionsfähigen - Kapazitäten an konventionellen Kraftwerken eine hinreichende Wirtschaftlichkeit darstellt und auf die jeweils erreichte Marktintegration erneuerbarer Energien schrittweise reagieren kann. Kurzfristig ist die Sicherung von Reservekapazitäten durch den Staat zumindest für Höchstlastzeiten erforderlich. In diesem Markt- und Ordnungsmodell müssen die Belange der Erneuerbaren Energien und ihre Bevorzugung und Förderung genauso berücksichtigt sein wie die Belange der mittelfristig noch notwendigen konventionellen Produktion und die Integrationserfordernisse der Erneuerbaren Energien in die Elektrizitäts- und Gasnetze. Darüber hinaus sind die Erfordernisse des EU-Binnenmarktes zu berücksichtigen, weshalb zur Etablierung eines tragfähigen Markt- und Ordnungsmodells ein entsprechendes Engagement auch auf europäischer Ebene erforderlich ist.
     
  7. Die deutsche Energiepolitik muss zugleich eine Rahmenkoordinierung der Energiepolitik auf europäischer Ebene einfordern und sie im Hinblick auf die inhaltlichen Ziele der Energiewende und das dafür erforderliche Markt- und Ordnungsmodell aktiv gestalten (Umstieg auf erneuerbare Energien, dezentrale Erzeugungsstrukturen usw.). Die europäische Energiepolitik muss Bestandteil der europäischen Klimaschutzpolitik mit der Fortführung des CO2-Emissionshandels und einer gezielten Verknappung der Zertifikate sein. Die Energiewende muss zugleich als ein industriepolitisches Wachstumsprojekt von internationaler Bedeutung begriffen werden.
     
  8. Als Voraussetzung für den Ausbau der Übertragungsnetze sollte der Bundesbedarfsplan zügig verabschiedet werden. Mitte August 2012 haben die vier Übertragungsnetzbetreiber den zweiten Entwurf des Netzentwicklungsplans Strom 2012 (NEP) an die Bundesnetzagentur übermittelt. Bundesregierung und Bundestag beschließen nun auf dieser Grundlage einen Bundesbedarfsplan. Der Bedarfsnachweis in den folgenden Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren muss dementsprechend nicht mehr erbracht werden. Diese Verfahren werden somit vereinfacht. Kommunen und ihre Bürgerinnen und Bürger müssen in den Planungsverfahren zu einem Zeitpunkt beteiligt werden, zu dem noch Einfluss auf den konkreten Trassenverlauf genommen werden kann. Im Rahmen zukünftiger weiterer Netzbedarfsplanung der Übertragungsnetze sollten Sensitivitätsbetrachtungen durchgeführt werden, bei denen die Frage der Standortwahl für neu errichtete Erzeugungskapazitäten als aktive Maßnahme der Netzentlastung mit einberechnet wird. 
     
  9. Der Bund muss sich in einer Deutschland-Netz-AG an den Übertragungsnetzen beteiligen, um den Netzausbau seitens der Übertragungsnetzbetreiber zu beschleunigen und eine durch die Bundespolitik steuerbare Netzausbaupolitik zu betreiben.
     
  10. Durch eine Weiterentwicklung der Netzentgeltregulierung an den Erfordernissen der Investitionen in den Netzausbau und deren informationstechnischen Unterlegung muss sicher gestellt werden, dass bessere Investitionsanreize für die Verteilnetze gesetzt werden.
     
  11. Das Energiewirtschaftsrecht muss insbesondere hinsichtlich des angemessenen Netzkaufpreises sowie der fehlerhaften Verweisung auf §1 EnWG novelliert werden, um das Recht auf kommunale Selbstverwaltung im Konzessionswettbewerb zu wahren.
     
  12. Durch eine Anpassung der Gemeindeordnungen an den wettbewerblichen energiewirtschaftlichen Ordnungsrahmen muss die Kommunalwirtschaft gestärkt werden. Es bedarf klarer Regelungen, die eine wirtschaftliche Betätigung der Kommunen im Bereich der Energiewirtschaft umfassend ohne Einschränkungen nach dem Territorialprinzip ermöglichen. Die Neufassung des § 107a in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung bietet hierzu eine Vorlage. Darüber hinaus sollte auch Kommunen in Haushaltsnotlagen und ihren Unternehmen die Möglichkeit eröffnet sein, sich an Investitionen in Anlagen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien zu beteiligen.
     
  13. Die bestehenden Förderprogramme bei der KfW müssen im Hinblick auf ihre Höhe und ihre Zielorientierung überprüft und besser an die Anforderungen der Energiewende angepasst werden. Zukünftig sollten weiterhin Maßnahmen zur energetischen Sanierung im Gebäudebereich von privaten Immobilienbesitzern gefördert werden. Außerdem sind Programme zur Unterstützung von gewünschten Investitionen in den Auf- und Ausbau der Energieerzeugungsinfrastruktur sinnvoll. Darüber hinaus sollte ein gut dotiertes Investitionsprogramm für Kommunen die Förderprogramme für Kommunen deutlich erweitern und in der Ausgestaltung insbesondere an den Erfordernissen von finanzschwachen Kommunen ausrichten. Das entspricht auch den Forderungen zu einem Investitionspakt im Rahmen des von der Bundes-SGK entwickelten Investitions- und Entschuldungspaktes.
     
  14. Wir fordern die Bildung eines Energieeffizienzbudgets als neuen Förderweg (möglicherweise als Teilprogramm der Städtebauförderung), welches in den Kommunen für die quartiersbezogene energetische Erneuerung auf Basis integrierter Energiekonzepte eingesetzt werden kann. Zur Erarbeitung dieser Konzepte sollten im Rahmen der Städtebauförderung zusätzlich 170 Millionen Euro, einschließlich der in 2012 über die KfW zur Förderung quartiersbezogener Energie- und Klimaschutzprogramme bereitgestellten 70 Millionen.
     
  15. Die flächendeckende verbraucherbezogene Energieberatung muss in Umsetzung des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen (EDL-G) intensiviert werden. Die Erbringung der Energiedienstleistungen muss unabhängig und produktneutral durch öffentliche bestimmte Stellen erfolgen. Einkommensschwachen Haushalten sollte die Möglichkeit einer Energieverbrauchsberatung zur Senkung des Energieverbrauchs und der Realisierung von Energieeinsparmöglichkeiten kostenlos offen stehen. Die entsprechenden staatlichen Fördermöglichkeiten sollten ausgedehnt werden.
     
  16. Die Energiewende hat eine soziale Dimension. Die Kosten der Energiewende sollten nicht allein durch den Haushaltskunden und die mittelständische Wirtschaft gezahlt werden. Die Begünstigungen und Befreiungen von energieintensiven Betrieben müssen auf die Zielgruppe der im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen beschränkt werden. Zudem muss bei der energetischen Gebäudesanierung stärker auf die Effektivität des Mitteleinsatzes geachtet werden, denn auf das technologisch Machbare. Das führt auch zu einer besseren Sozialverträglichkeit, die nicht tragbare Mietsteigerungen oder eine Unwirtschaftlichkeit der Maßnahmen für die Eigentümer vermeidet.
     
  17. Bei einer weiteren drastischen Entwicklung der Strom-, Gas- und Wärmepreise müssen soziale Ausgleichsmechanismen für einkommensschwache Haushalte in den entsprechenden sozialen Sicherungssystemen gefunden werden. So sollte der von der schwarz-gelben Bundesregierung abgeschaffte Heizkostenzuschuss im Wohngeld wieder eingeführt oder das Wohngeld entsprechend erhöht werden.
     
  18. Wir fordern die Organisation eines Ausgleichsmechanismus für besondere regionale Betroffenheiten. Das betrifft sowohl den Ausbau des Übertragungsnetzes als auch Fragen der Regionalisierung der Kosten des Ausbaus erneuerbarer Energien für die regionalen und örtlichen Netzbetreiber wegen der dadurch erhöhten Netzentgelte und damit der erhöhten Stromtarife in den betroffenen Regionen.
     
  19. Die Investitionen im Zuge der Energiewende und der damit verbundene Infrastrukturausbau führen auch zu Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Um dennoch ihre Akzeptanz für dieses Vorhaben zu gewinnen und auf längere Sicht zu sichern, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die unverhältnismäßige Einschränkungen vermeiden, eine gerechte Lastenverteilung herstellen und auch individuelle Vorteile vermitteln. Zugleich müssen die einzelnen Prozesse und Verfahren so gestaltet werden, dass sie von der Bevölkerung nachvollzogen und angenommen werden. Hierauf müssen Bund, Ländern und Kommunen in mehrfacher Hinsicht reagieren. So sind die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig an den notwendigen Planungsprozessen zu beteiligen. Über Investitionen der Standortkommunen wie auch über ein direktes Engagement als Einzelpersonen (z.B. Bürgerwindräder) oder mit mehreren zusammen (z.B. Energie­genossenschaften) sollen die Menschen direkt von der Wertschöpfung profitieren können. Schließlich müssen die sozialen Auswirkungen der Energiewende beachtet werden, um der verbreiteten Befürchtung zu begegnen, dass mit steigenden Preisen für Strom und Heizung sozial Schwächere besonders stark belastet werden.

Begründung:

1. Die Energiewende

„Die gegenwärtige Art, Energie und Ressourcen zu verschwenden, hat keine Zukunft mehr. Für uns ist deshalb die Energiewende, die wir eingeleitet haben, eine Schlüsselaufgabe für das 21. Jahrhundert. Wir treiben den Wechsel von erschöpflichen zu unerschöpflichen und von schadstoffhaltigen zu schadstofffreien Ressourcen konsequent voran.“ (Hamburger Programm der SPD, November 2007)

1.1.  Hintergründe

Bereits unter der Rot-Grünen Bundesregierung seit 1998 wurden die Weichen in der deutschen Energiepolitik auf den Ausstieg aus der Atomkraft und den verstärkten Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energiequellen umgestellt und somit die Energiewende eingeleitet. Das Stromeinspeisegesetz von 1990 wurde am 29. März 2000 durch das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) fortgeschrieben und die Förderung der Erneuerbaren Energien mit festen Vergütungssätzen verstärkt und degressiv ausgestaltet. Die Erfolgsgeschichte ist überzeugend: Im Jahr 2011 waren bereits 12,5 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland durch Erneuerbare Energien gedeckt, in der Stromerzeugung waren es bereits 20,3 %, Tendenz steigend. Im ersten Halbjahr 2012 wurden vom Bundesumweltminister 25 % vermeldet.

Auch unabhängig von der Frage der Nutzung der Atomenergie ist es für die Versorgung Deutschlands mit Energie seit langem eine erkennbare ökonomische Notwendigkeit, sich von der Importabhängigkeit fossiler und damit erschöpflicher Energiequellen schrittweise zu befreien, um den damit verbundenen Ressourcenknappheiten und Kostensteigerungen entgegenzuwirken. Die Entwicklung immer effizienterer Technologien zur Nutzung der Erneuerbaren Energiequellen stellt somit eine ökonomische und industriepolitische Notwendigkeit zur Weiterentwicklung und langfristigen Sicherung des Standortes Deutschland dar.

Diese Erkenntnis hat sich 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima in Japan auch bei der Bundesregierung durchgesetzt. Nachdem Schwarz-Gelb zunächst in 2010 den mit der Energiewirtschaft unter Rot-Grün 2001 vereinbarten Atomausstieg aus Klientelinteressen rückgängig machen wollte und sich eine gesellschaftspolitische Spaltung mit Massenprotesten abzeichnete, bot die Atomkatastrophe von Fukushima der Bundeskanzlerin gerade noch rechtzeitig die Gelegenheit, den Wendekurs der Bundesregierung erneut zu drehen und sich zurück in die gesellschaftliche Mitte entsprechend den Zielen des in der Großen Koalition 2007 in Meseberg beschlossenen Integrierten Energie- und Klimaschutzprogramms zu bewegen. Seitdem ist die Energiewende endgültig zum gesamtgesellschaftlichen parteiübergreifenden Projekt erhoben. Eine Ethik-Kommission dokumentierte den gesellschaftlichen Konsens in ihrem Bericht vom 30. Mai 2011.

„Die Energiewende muss als Gemeinschaftswerk für die Zukunft so gestaltet werden, dass Energie sicher, umwelt- und sozialverträglich und zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitgestellt wird. Die Industrie ist gemeinsam mit dem Handwerk und dem Dienstleistungsbereich die Basis der Beschäftigung in Deutschland und sichert den Wohlstand der jetzigen und zukünftigen Generationen. Der Übergang in ein Zeitalter einer konsequenten Verbesserung der Energieeffizienz und zur Nutzung erneuerbarer Energien ist ein Prozess, der die gesamte Gesellschaft fordert.“

Die Ziele zur Energiewende und zum nationalen Klimaschutz sind ambitioniert und erfordern einen weiteren konsequenten Ausbau der Strom- und Wärmeproduktion aus Erneuerbaren Energien. Zudem soll die Energieeffizienz deutlich gesteigert werden. Dazu zählt auch eine deutliche Erhöhung des Anteils an Energieerzeugung in Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen (KWK), da diese über die höchsten Ausnutzungsgrade der eingesetzten Energieträger verfügen und somit einen besonderen Beitrag zu ihrer effizienten Nutzung leisten.

Der kurvenreiche Kurs der Bundesregierung erklärt die inzwischen dramatische Diskrepanz zwischen breit getragenen und äußerst ambitionierten Zielen einerseits und einem schleppenden, häufig orientierungslosen Vollzug in der Verantwortung des Bundes andererseits. Dieses ist umso problematischer, als wir vor einem - dank Atomausstieg - beschleunigten Jahrhundertvorhaben stehen, das höchst komplexe Anforderungen stellt und erhebliche Ressourcen binden wird.

Die Energiewende stellt sich auch als soziale Frage: Wie lassen sich die Kosten der Energiewende so verteilen, dass Haushaltskunden und Mieter genauso wie mittelständische Betriebe und

selbstnutzende Wohnungseigentümer nicht überfordert werden? Neben den ökologischen, wirtschafts- und industriepolitischen Zielen müssen die sozialen Wirkungen der Energiewende stärker berücksichtigt werden. Denn die Frage der sozialen Gerechtigkeit entscheidet auch maßgeblich mit über die Frage der Akzeptanz gegenüber erforderlichen Maßnahmen der Energiewende.

Bei richtiger Handhabung kann dieses Jahrhundertprojekt einen breiten ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen stiften. Entgegen dem Stückwerk, das die Bundesregierung im Rahmen ihrer Koordinationsverantwortung liefert, ist es daher zwingend geboten, eine konzise Zielformulierung und einen praktikablen Handlungsrahmen für alle beteiligten Akteure zu entwickeln, der den Weg in und durch die Energiewende weist. Genau hierin und in dem Fehlen solcher Ansätze liegt das zentrale Versagen der amtierenden Bundesregierung.

1.2.  Folgen der technologischen Integration der Erneuerbaren Energien

Die zunehmenden Erzeugungsanteile aus Erneuerbaren Energien im Bereich der Windkraft und der Photovoltaik zeichnen sich dadurch aus, dass ihre schwankende Produktion in Abhängigkeit von Tageszeit und Wetterlagen steht. Je nachdem, wie stark der Wind bläst und die Sonne scheint, wird Strom in das Netz eingespeist. Die damit verbundenen Unregelmäßigkeiten müssen im Stromnetz ausgeglichen werden.

Außerdem werden die Erneuerbaren Energien zu einem erheblichen Teil in dezentralen, kleineren Anlagen produziert. Das führt zu Veränderungen in der Frage der Vernetzung zwischen Produzenten und Verbrauchern. Zudem kann der einzelne Betrieb, wie auch der einzelne Haushalt Produzent und Verbraucher zugleich werden (Prosument). Die Vielzahl dezentralerer Einspeisungen kann zusätzlich zu veränderten Anforderungen an das Lastmanagement in den Netzen führen.

Die Erneuerung und Modernisierung der örtlichen und regionalen Verteilnetze ist eine wesentliche Aufgabe, um die Aufnahme noch größerer Mengen Strom aus Erneuerbaren Energie in die Netze zu verbessern. Dazu gehören insbesondere Regelungstechnologien, wie z.B. der regelbare Ortsnetztrafo, mit dem unterschiedliche Spannungen im Netz bei unregelmäßiger Einspeisung ausgeglichen werden können. Erforderlich ist außerdem der Ausbau vorhandener und die Entwicklung neuer Speichertechnologien, die eine Rückführung gespeicherter Energie in das Stromnetz in Zeiten zu geringer Produktion aus Wind und Sonne sicherstellen können. Eine technologische Alternative stellen sogenannte power-to-gas Lösungen dar. Ein wichtiges Element können in diesem Zusammenhang Anlagen der Kraft-Wärme-Koppelung in Kombination mit Wärmespeichern sein.

Um die erhöhten Anforderungen an das Lastmanagement in den regionalen und örtlichen Verteilnetzen zu bewältigen, müssen bei einer wachsenden Vielzahl von Stromproduzenten und

Verbrauchsstellen Informationen gebündelt werden. Insofern bedürfen die Netze einer informationstechnologischen Untersetzung, etwa durch den Einsatz von vernetzbaren Stromzählern (Ausbau zu einem Smart-Grid mit Smart-Metern).

In diesem Zusammenhang sollten auch die Möglichkeiten einer stärkeren zeitlichen Steuerung der Nachfrage (Demand-Side-Management) durch z.B. differenzierte Tarifstrukturen oder die Prämierung der Abschaltung von Großverbrauchsstellen in Spitzenlastzeiten genutzt werden.

Es ist deutlich, dass die jeweiligen Anforderungen zur technologischen Integration der dezentralen Produktion von Strom in den jeweiligen Regionen höchst unterschiedlich ausfallen werden. Viele der benötigten Technologien sind noch nicht ausgereift und marktfähig. Andere müssen noch weiterentwickelt und erforscht werden. Hier bestehen große Chancen, neue Märkte auch im internationalen Maßstab zu erschließen.

Deutschland befindet sich hier am Anfang eines Prozesses des technologischen Umbaus des Energieversorgungssystems, in dem zunächst die Entwicklung der Energieerzeugungsanlagen im Mittelpunkt des Interesses stand. Inzwischen ist erkannt worden, dass die Modernisierung der Netze und ihrer Regelung sowie die Integration von Speichertechnologien eine weitere zentrale Aufgabe in der Energiewende darstellen. Hierbei spielen die örtlichen und regionalen Verteilnetze eine entscheidende Rolle.

1.3.  Folgen der Marktintegration der Erneuerbaren Energien

Wegen der Vorrangregeln und ihren niedrigen Grenzkosten sorgen die Erneuerbaren Energien an der Strombörse über den Merit-Order-Effekt für sinkende Preise und eine systematische Verschlechterung der Vermarktungsmöglichkeiten von Strom aus konventionellen Kraftwerken. Der Merit-Order-Effekt ist die Verdrängung teuer produzierender Kraftwerke durch den Markteintritt eines Kraftwerks mit geringeren variablen Kosten. Entsprechend der Ausgleichsmechanismusverordnung wird in Deutschland der nach EEG (Strom aus Wind, Wasser, Solarenergie, Biomasse, etc) eingespeiste Strom seit 2010 von den Übertragungsnetzbetreibern am Spotmarkt der Leipziger Strombörse (EEX) vermarktet. Dieser "EEG-Strom" verdrängt gegebenenfalls das aktuell teuerste Kraftwerk und senkt so über den Merit-Order-Effekt den Börsenpreis. Das führt zur Reduktion der Betriebszeiten bei den betroffenen konventionellen Kraftwerken und kann deren Wirtschaftlichkeit in Frage stellen.

Ein Beispiel für die damit verbundene Problematik bildete 2012 die Stromversorgung in Süddeutschland, wo ein Kraftwerksbetreiber aus betriebswirtschaftlichen Gründen den Betrieb von Gaskraftwerken einstellen wollte und damit die Versorgungssicherheit beeinträchtigt worden wäre. Hier zeigt sich, dass betriebswirtschaftlich richtige Entscheidungen volkswirtschaftlich unerwünschte Effekte nach sich ziehen können.

Daraus resultiert die aktuelle energiepolitische Diskussion über die Frage, wie die Bereithaltung von Kapazitäten für eine flexible Energieerzeugung auch unter betriebswirtschaftlich nicht mehr rentablen Bedingungen organisiert werden kann.

Das gilt nicht nur für die Frage des Rückbaus konventioneller Kraftwerkskapazitäten sondern auch für die Frage des aus volkswirtschaftlichen Gründen sinnvollen Zubaus moderner, flexibel zuschaltbarer Kapazitäten in Form von Gas- und Dampfturbinenkraftwerken mit hohen Wirkungsgraden und Möglichkeiten zur Kraft-Wärme-Kopplung.

Es besteht deshalb die dringende Notwendigkeit, dass ein zukünftiges Markt- und Ordnungsmodell gefunden wird, mit dem auch bei weiter fortschreitender Steigerung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien die Wirtschaftlichkeit des mindestens bis 2050 notwendigen Betriebs konventioneller Kraftwerke gesichert werden kann. Andernfalls drohen eine unerwünschte Investitionszurückhaltung und eine Gefährdung der Versorgungssicherheit.

1.4. Folgen in der Raumstruktur

Durch den immer größer werdenden Einsatz erneuerbarer Energien verändert sich auch die räumliche Verteilung der Energieerzeugung. Standorte für Windkraft (Onshore) und Biogasanlagen liegen überwiegend in ländlichen Räumen, während die heutigen zentralen Kraftwerksstandorte sich an Rohstoffvorkommen und Verbrauchsschwerpunkten konzentrieren und sich überwiegend in städtisch geprägten Verdichtungsräumen befinden. Mit dem forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien wird dementsprechend eine räumliche Verschiebung der Energieproduktion einhergehen.

Neben der Verteilung der Energieerzeugung zwischen ländlichen Räumen und den städtischen Verdichtungsräumen lässt sich bundesweit ein geografisches Ungleichgewicht zwischen der hohen installierten Windenergieleistung im Norden und Osten Deutschlands, des stetig wachsenden Anteils der installierten Photovoltaik in den süddeutschen Regionen sowie der großen Lastzentren in West- und Süddeutschland feststellen. Dieses wird durch den weiteren Ausbau von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee eher noch verstärkt werden. Deswegen besteht die Notwendigkeit des Ausbaus der Übertragungsnetze in Deutschland.

In welchem Umfang dieses geschehen sollte ist aber umstritten. So ist bei der Erstellung des Szenariorahmens für den nationalen Netzentwicklungsplan Strom durch die Bundesnetzagentur das weitaus höchste Bedarfsszenario jenes, in dem die von den einzelnen Bundesländer vorgegebenen Zielwerte für die Entwicklung der Energieerzeugung schlicht aufaddiert worden sind. Deshalb besteht auch die Forderung, im Rahmen der weiteren Netzbedarfsplanung der Übertragungsnetze weitere Sensitivitätsbetrachtungen durchzuführen, in denen die Frage der Standortwahl für neu errichtete Erzeugungskapazitäten als aktive Maßnahme der Netzent­lastung mit einberechnet wird.

Mit der neuen räumlichen Verteilung der Energieerzeugung gehen regionalwirtschaftliche Folgen einher, deren Umfang und Auswirkung derzeit schwer prognostizierbar sind.

Für einzelne Regionen, in denen in der Vergangenheit die Energieproduktion mit konventionellen Kraftwerken einen strukturell besonders wichtigen Anteil hatte, stellen sich somit Fragen eines notwendigen Strukturwandels mit der Entwicklung alternativer Produktionen und Dienstleistungen.

Demgegenüber entstehen in ländlichen Regionen mit einem deutlichen Ausbau von Erzeugungs­anlagen und der notwendigen Netzinfrastruktur für Erneuerbare Energien Belastungen, die Fragen nach geeigneten Ausgleichsmöglichkeiten aufwerfen.

2.     Aktive Kommunen und kommunale Unternehmen

2.1.  Kommunen in der Energieerzeugung

Die Energiewende geht von den Kommunen aus. Das hat auch die Ethikkommission in ihrem Abschlussbericht deutlich gemacht. Kommunen können selber und mit ihren Unternehmen und Beteiligungen aktiv in das Geschehen der Energieversorgung einsteigen. Die jeweilige angepasste energiepolitische Strategie für die einzelnen Kommunen und ihre Region wird von den höchst unterschiedlichen Voraussetzungen der bestehenden Energieversorgungsstruktur sowie den siedlungsstrukturellen und naturräumlichen Voraussetzungen für die Produktion von Erneuerbaren Energien abhängen.

Die Idee der Bioenergiedörfer kann in dünnbesiedelten ländlichen Regionen sinnvoll sein, wenn sie in die regionale Energieversorgungsstruktur eingebunden sind. Autarke Insellösungen können im Einzelfall vor Ort praktikable Wege für die Bevölkerung aufzeigen, sie stellen allerdings keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Kernfragen der Energiewende in Deutschland dar. Ansätze, wie sie von den Kommunen im Verbund „100% Erneuerbare Energie Regionen“ mit dem Ziel vertreten werden, ihre Eigenversorgung ausschließlich aus Erneuerbaren Energien zu organisieren, können zwar in ländlichen Regionen wie Nordfriesland mit einem hohen Besatz an Onshore-Windkraftanlagen leicht zu erreichen sein, sind aber nicht auf stark verstädterte Regionen mit großen industriellen Verbrauchern übertragbar.

Für die Kommunen mit eigenen Stadtwerken oder entsprechenden Beteiligungen ist zu prüfen, ob und wie der Bereich der Energieerzeugung in einem eigenen Unternehmen auf- oder ausgebaut werden kann. Dieses gilt insbesondere für die regional aktiven Stadtwerke. Sie kennen ihre Region. Sie kennen die Ressourcen und den lokalen Bedarf besser als andere Anbieter. Sie können aus den vielfältigen Möglichkeiten kommunaler Eigenerzeugung die für die Region passende Option wählen. Den Beitrag, den kommunale Unternehmen zur Stromversorgung von privaten Haushalten und den Unternehmen in Deutschland bisher leisten, liegt bei rund 50%. Gut 12 % des Stroms wurde bisher von den Stadtwerken produziert. Dieser Anteil sollte noch deutlich erhöht werden.

Hierzu müssen allerdings auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb gilt es, das Gemeindewirtschaftsrecht in denjenigen Bundesländern, die noch über eine restriktive Gemeindeordnung verfügen, an die energiepolitischen Herausforderungen anzupassen. Nur so können bestehende Hürden für kommunale Unternehmen bei ihrem Engagement für die Energiewende abgebaut werden.

Beim Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik können Kommunen, ihre Unternehmen und ihre Einwohner eine Reihe von wirtschaftlichen Vorteilen gewinnen, nicht nur in der Verpachtung von Flächen, sondern vor allem in der Projektierung und dem Betrieb solcher Anlagen. So kann die Ansiedlung von Anlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien zu gesteigerten Einkünften kommunaler Betriebe oder Beteiligter aus der Bürgerschaft, zur Zunahme des kommunalen Steueraufkommens bei der Gewerbesteuer sowie zu möglichen zusätzlichen Pachteinnahmen für die jeweilige Gemeinde oder deren Einwohner führen. Neben der Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom mit Windrädern oder Photovoltaikanlagen bestehen vor allem zahlreiche Möglichkeiten der Nutzung anderer erneuerbarer Energieträger, wie z.B. der Wasserkraft, Biomasse und Geothermie. Ein besonderes Augenmerk muss auch dem Ausbau von Wärme- und Kältenetzen gewidmet werden.

Darüber hinaus sind es die Kommunen, die das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger für Projekte der Erzeugung von Strom und Wärme mit erneuerbaren Energien am besten anstoßen können. Der Einbezug der Bürgerinnen und Bürger und die Organisation von bürgerschaftlichen „Erneuerbaren Energien Initiativen“ stärkt die Akzeptanz des Ausbaus und schafft positive regionalwirtschaftliche Effekte. Insbesondere dort, wo Kommunen sich bislang nicht finanziell an Projekten beteiligen dürfen, weil das Gemeindewirtschaftsrecht dieses nicht zulässt, können sie Energiegenossenschaften für ihre Bürgerinnen und Bürger befördern. In den letzten vier Jahren (von 2007 bis 2011) hat sich die Zahl der Energiegenossenschaften in Deutschland von rund 100 auf 586 fast um mehr als das Fünffache erhöht. Diese Dynamik zeigt das Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu engagieren und privates Kapital zu mobilisieren. Das sollte allerdings nicht dazu führen, den absoluten Anteil der Energiegenossen­schaften an der Gesamterzeugung zu überschätzen.

Grundsätzlich ist festzuhalten, die Energiewende bietet sowohl für Bürgerinnen und Bürger als auch für die Kommunen und ihre Unternehmen verstärkte Möglichkeiten, sich direkt in den Erzeugungsmärkten zu beteiligen. Die Kommunen sollten Bürgerinnen und Bürger von Anfang an in einem Beteiligungsprozess einbinden und die Chancen und Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien herausstellen.

2.2. Kommunen im Netzbetrieb

Hinsichtlich des Netzbetriebes besteht aufgrund des vielfachen Auslaufens von Netzkonzessionen und der damit verbundenen Möglichkeit der Kommunalisierung des Netzbetriebs durch eine Neuvergabe der Konzession eine rege Diskussion. Soll die Konzessionsvergabe an ein eigenes oder neu zu gründendes Stadtwerk, an ein anderes kommunales Unternehmen, an einen kommunalen Unternehmensverbund oder an ein Unternehmen unter Beteiligung Privater erfolgen? Es wird im Einzelfall anhand von Machbarkeitsstudien zu prüfen sein, welcher Weg für die Bürgerinnen und Bürger am besten ist, damit ihre Interessen an bezahlbarer und sicherer Energieversorgung, der Berücksichtigung des Erhalts einer intakten Umwelt, der Ressourcenschonung und dem notwendigen Umbau der Energieversorgung im Sinne der Anforderungen des Klimaschutzes erfüllt werden können. Dabei stellt sich für die Kommunen die strategische Frage, wo und in welchen Wertschöpfungsstufen sie sich darüber hinaus energiewirtschaftlich betätigen wollen und wie sie die notwendigen Investitionskosten finanzieren können. Der Netzbetrieb kann für ein dauerhaftes energiewirtschaftliches Engagement ein geeigneter Start sein.

Für die Kommunalisierung spricht, dass kommunale Unternehmen in ihrer unternehmerischen Verantwortung in hohem Maße dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Ebenfalls dafür spricht die Orientierung auf regionale Zulieferer, so dass regionale Wirtschaft und Handwerk von einer Neugründung oder Ausweitung der Geschäftstätigkeit profitieren. Nicht zuletzt ermöglichen die erwirtschafteten Renditen Zuführungen zu den kommunalen Haushalten und somit wichtige Beiträge zur Finanzierung anderer öffentlicher Aufgaben.

Andererseits gilt es, die Wirtschaftlichkeit des künftigen Netzbetriebs auf Grundlage einer sachgerechten Bewertung des Netzes und mit Blick auf die Weiterentwicklung der regionalen und lokalen Verteilernetze und die damit verbundenen Neuinvestitionen zu betrachten. Dabei sollten auch die verschiedenen Kooperationsmöglichkeiten überprüft werden.

Die mit dem Netzbetrieb zu erwirtschaftenden Erträge ergeben sich über die stark regulierten Netzentgelte. Die Energiepolitik des Bundes hat in der Vergangenheit mit der Einführung der Anreizregulierung ab 2009 den Druck auf die Netzentgelte unabhängig von den tatsächlichen Kosten weiter verschärft. Das System der Anreizregulierung ist deshalb ungeeignet, ein investitionsfreundliches Umfeld zu erzeugen und muss entsprechend reformiert werden. Die Netzentgelte müssen auch die Kosten für die Zukunftsinvestitionen in die örtlichen und regionalen Verteilnetze abdecken und eine zeitnahe Refinanzierung erlauben.

Zusätzliche Investitionsmöglichkeiten liegen im Bereich der Speicher. Hier kann ein interessantes Geschäftsfeld entstehen. Ab einem Anteil von ca. 40 Prozent Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien prognostiziert das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg einen exponentiellen Anstieg des Bedarfs an Speicherkapazitäten. Derzeit befindet sich neben der in Deutschland für Regelenergiebedarfe vorgehaltenen Energien aus Pumpspeicherwerken eine Vielzahl neuer Technologien in der Entwicklung und im Aufbau (diese reichen von einer Nutzung der KWK mit Wärmespeichern über Druckluftspeicherkraftwerke, Power to Gas, Batterien u.v.a.m.), die sich aber erst noch am Markt bewähren müssen. Es besteht ein strategisches Interesse der Kommunen und ihrer Stadtwerke – genauso wie des Standorts Deutschland – darin, an dieser Entwicklung teilzuhaben und sich nicht in künftigen Speichermärkten allein von Großanbietern und -versorgern abhängig zu machen. Auch dafür ist es notwendig, kooperative Strategien zu wählen und kommunale Verbünde für diesen Bereich auf- und auszubauen.

3.     Die Kommune als Planungsträger

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien entstehen neue Anforderungen an die Suche von geeigneten Standorten. Insbesondere Windkraft, der Neubau von Windparks oder das Repowering älterer Anlagen durch modernere größere Windräder unterliegen letztlich der Steuerung der Kommunen im Bereich des Bau- und Planungsrechtes.

Dabei können die Interessen der Kommunen zum einen an den Chancen des Ausbaus der Windenergie orientiert sein, zum anderen fühlen sich aber viele Bürgerinnen und Bürger von den Nachteilen betroffen und von den damit verbundenen Gewinnen ausgeschlossen. Sie wehren sich dementsprechend gegen die aus ihrer Sicht drohende „Verspargelung“ der Landschaft. Es ist Aufgabe der Kommunen, hier einen Ausgleich zu suchen und die positiven Chancen zusätzlicher kommunaler Wertschöpfung für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar zu machen und ihre Steuerungsmöglichkeiten offensiv zu nutzen.

Zur Beschleunigung der Energiewende nach der Reaktorkatastrophe am 11. März 2011 ist der energie- und klimapolitische Teil der Bauplanungsrechtsnovelle vorgezogen worden und am 30. Juli 2011 als Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden vom 22. Juli 2011 (BGBl. I S. 1509) in Kraft getreten. Durch die Novelle wurde noch einmal explizit die Planungshoheit der Kommunen für die Ausweisung von Eignungsgebieten (sogenannten Konzentrationszonen) und Standorten für Erneuerbare Energien und andere Energieerzeugungsanlagen in den neu eingefügten § 5 (2) Nr.2b) BauGB festgehalten:

„Im Flächennutzungsplan können insbesondere dargestellt werden:

1. (…)

2. die Ausstattung des Gemeindegebietes:

a) (…)

b) mit Anlagen, Einrichtungen und sonstigen Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken, insbesondere zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung, …“

Windenergieanlagen sind nach § 35 (1) Nr.5 BauGB im Außenbereich (d.h. nicht innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile oder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans) sogenannte privilegierte Nutzungen, deren baurechtliche Genehmigung nur bei entgegenstehenden öffentlichen Belangen versagt werden kann. Öffentliche Belange stehen gemäß § 35 (3) BauGB einem Vorhaben in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellung im Flächen­nutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung und Landesplanung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Daraus lässt sich aber nicht die Möglichkeit einer Verhinderungsplanung ableiten, denn entsprechend der Rechtssprechung (z.B. OVG Berlin-Brandenburg vom 24.02.2011, Az 2A 24.09) muss einer im § 35 BauGB privilegierten Nutzung „substantiell Raum gewährt werden“. Aus planerischer Sicht sollten die Vorgaben der Windenergieerlässe der Länder zu Rate gezogen werden.

Die Kommunen können die Errichtung von Windenergieanlagen auch einer Feinsteuerung durch die Aufstellung von Bebauungsplänen unterziehen. Dieses kann insbesondere zur Ermöglichung eines Repowering (dem Ersatz kleinerer älterer Anlagen durch leistungsfähigere neue Anlagen) sinnvoll sein. Am größten ist die kommunale Wertschöpfung, wenn es gelingt, die Windenergie­nutzung auf kommunale Flächen und Liegenschaften zu lenken und bereits in der Phase der Projektierung aktiv beteiligt zu sein, da neben den möglichen Einkünften aus Pachtzinsen sich hierdurch auch weitere Vorteile erwirken lassen, wie z.B. ein vergünstigter Strombezug von Direktvermarktungsanteilen, die in einem Nutzungsvertrag festgelegt werden können. Durch Teilkapitalisierung von Pachtzahlungen und deren Einbringung als Eigenkapital ermöglichen sich gute Beteiligungsmöglichkeiten.

4.    Steigerung der Energieeffizienz in den Kommunen

Ein zentraler Ansatzpunkt für die Energiewende ist die konsequente Umsetzung einer umfassenden Energieeffizienzstrategie. Dazu zählen nicht nur eine Verbesserung der Produkte und ihrer Herstellungsverfahren, sondern dazu zählen insbesondere auch die Senkung der großen Verbrauchsblöcke des Wärmebedarfes sowie der Kraftstoffe für die weiter gewachsenen Mobilitätsbedürfnisse. Eine besondere Herausforderung für die Kommunen ist in diesem Zusammenhang die energetische Sanierung des Gebäudebestandes.

In vielen Städten und Gemeinden konnte durch kommunales Energiemanagement der Einsatz von Wärme, Strom und Gas nachweislich kontinuierlich reduziert und damit die kommunalen Haushalte entlastet werden. Im Bereich der energetischen Gebäudesanierung sollte die öffentliche Hand eine Vorreiterrolle übernehmen. Eine Hauptaufgabe des kommunalen Energiemanagements wird auch in den nächsten Jahren weiter darin liegen, die noch bestehenden und sich infolge weiterer Innovationen eröffnenden Möglichkeiten zur Energieeinsparung und Energieeffizienz in kommunalen Liegenschaften auszuschöpfen.

Im Bereich der  energetischen Gebäudesanierung droht ein zu weit reichender gesetzlicher Zwang im Bestandsbereich das Investitionsverhalten negativ zu beeinflussen. Es muss beachtet werden, dass erhöhte Belastungen durch Investitionen sich auch in den Miethöhen widerspiegeln werden. Mit massiven Investitionen verbundene Sanierungsauflagen in den Wohnungsbeständen dürfen die Wirtschaftlichkeit der Bewirtschaftung der Bestände nicht gefährden. Hier gilt es, die Abwägung zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen im Auge zu behalten. Deshalb sollten weitergehende Regelungen, als im bisherigen Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich für Neubauten vorgesehen, kritisch betrachtet werden. Um die energetische Gebäudesanierung möglichst effektiv zu gestalten, bedarf es einer Mischung aus Investitionsförderung und einer an den Bedürfnissen der betroffenen Eigentümer und Mieter orientierten Beratung. Insofern müssen Förderprogramme und Beratung angepasst und verstärkt werden. Weitere gesetzliche Vorschriften, z.B. durch eine verschärfte Energieeinsparverordnung, werden von der Bundes-SGK für kontraproduktiv gehalten.

Die Möglichkeit des Einsatzes von Fördermitteln und verbesserten Finanzierungsinstrumenten muss mit der Frage verbindlicher Auflagen in ein angemessenes Gleichgewicht gebracht werden.

Dazu zählt nicht nur die Ausweitung der Förderung zinsverbilligter Kredite durch die KfW im Rahmen der CO2-Minderungsprogramme. Allein wegen des niedrigen Zinsniveaus ist das Instrument der Zinsverbilligung nicht so wirksam. Parallel sollten spezielle Zuschussprogramme (Investitionsprogramme) für die Aufgaben der energetischen Modernisierung am Objekt aufgelegt werden (z.B. im Hinblick auf denkmalgeschützte Bauten).

Um die komplexen Strukturen bei Eigentümern und Siedlungsformen in Bestandsgebieten zu erreichen, bedarf es einer veränderten Strategie, die über den Quartiersbezug ansetzt. Ziel muss es sein, in einem Quartier unter Einbeziehung der Bewohner und Eigentümer und anderer wichtiger Akteure, im Rahmen einer ausführlichen Bestandsaufnahme der lokalen Situation diejenigen Maßnahmen herauszuarbeiten, die den höchsten Effizienzvorteil mit sich bringen und zugleich finanzierbar und machbar sind. Ergänzend dazu sollte die Bildung eines Energieeffizienzbudgets als neuer Förderweg dienen, welches in den Kommunen für die quartiersbezogene energetische Erneuerung auf Basis integrierter Energiekonzepte eingesetzt werden kann. Zur Erarbeitung dieser Konzepte sollten im Rahmen der Städtebauförderung zunächst 100 Millionen Euro zusätzlich zu den 90 Millionen aus dem aktuellen KfW-Programm zur Förderung quartiersbezogener Energie- und Klimaschutzprogramme bereit gestellt werden.

Eine wichtige Funktion bei der Umsetzung von quartiersbezogenen Strategien zur Steigerung der Energieeffizienz liegt bei einer verbesserten Energieberatung. Die Bundes-SGK spricht sich deshalb für die Intensivierung einer flächendeckenden verbraucherbezogenen Energieberatung durch unabhängige, produktneutrale öffentlich zu bestimmende Stellen aus.

Beschluss der Delegiertenversammlung der Bundes-SGK am 15./16. Februar 2013 in Würzburg