Beschlüsse Delegiertenversammlung

Positionspapier "Wir bekennen uns zur europäischen Integration und zur Europäischen Union!"

"Gemeinsam für einen Politikwechsel in Europa – Starke Kommunen für ein Europa des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität"
24. November 2018

Wir bekennen uns zur euro­päischen Integration und zur Europäischen Union!
Gemeinsam für einen Politikwechsel in Europa – Starke Kommunen für ein Europa des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität

Beschluss der Delegiertenversammlung der Bundes-SGK
am 23./24. November 2018 in Kassel

Die Sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und -politiker bekennen sich zur euro­päischen Integration und zur Europäischen Union. Wir werden auch künftig unseren Beitrag zur Verbesserung und gesell­schaftlichen Fortentwicklung eines gemein­samen Europa leisten und uns für die Förderung des europäischen Gedankens einsetzen. Die europäische Integration ist ein Erfolgsmodell: Sie ist Grundlage für ein Leben in Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Fortschritt in Europa und Deutsch­land. Nur mit einer starken und geschlossenen Europäischen Union können wir gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn die Herausforderungen unserer Zeit meistern. Die Europäische Union ist eine starke Gemeinschaft. Heute, im Jahr 2018, gehören ihr 28 Staaten an, in denen 509 Millionen Menschen in über 90.000 Städten und Gemein­den leben.

Unsere Europäische Union steht aber vor großen Herausforderungen: Mit dem Vereinigten König­reich wird im Jahr 2019 das drittbevölkerungsreichste Mitgliedsland und die zweitgrößte Volkswirt­schaft aus der Europäischen Union ausscheiden. Unsere Gemeinschaft wird dadurch kleiner und ärmer. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage nach der Finanz- und der Staatsschuldenkrise in den vergangenen Jahren gebessert, vielerorts in Europa ist die Schere zwischen Arm und Reich aber weiter auseinandergegangen.

Die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit und die Zahl der Menschen, die in Armut leben, sind für einen der reichsten Teile der Welt völlig inakzeptabel. Viele Menschen in Europa fühlen sich in ihrem Wohl­stand und ihrer Sicherheit bedroht. Dazu haben auch die instabile Lage im Osten der Ukraine und die politische Entwicklung in der Türkei sowie Terroranschläge in europäischen Städten beigetragen. Die kriegerischen Konflikte im Nahen Osten und die Armut und Perspektivlosigkeit in vielen Regionen Afrikas haben eine Flüchtlingsbewegung ausgelöst, die im Jahr 2015 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Die Auswirkungen der damit verbundenen Problemstellungen sind auch in unseren Kommunen spürbar.

Obwohl mehr entschlossenes gemeinsames Handeln in Europa die schlüssige Antwort auf diese Entwicklung sein müsste, schwindet demgegenüber das Vertrauen in die Institutionen der EU bei vielen Menschen. Der Brexit ist der bisherige Tiefpunkt des Vertrauensverlustes in die Europäische Idee. Befördert wird diese Entwicklung durch das Erstarken populistischer und europafeindlicher Parteien und Bewegungen, die Ängste schüren und keine Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit haben. In Polen, Ungarn, Österreich und Italien stehen diese Kräfte sogar mit in der Regierungsverantwortung.

Die Europäische Einigung ist nicht Ursache sondern Mittel zur Lösung der bestehenden Probleme und Herausforderungen. Wir müssen entschlossen und solidarisch zusammenstehen, um in einer Welt bestehen zu können, die aus den Fugen zu geraten droht. Europa muss seine Werte verteidigen und als Akteur die Bewältigung der globalen Herausforderungen aktiv mitgestalten. Das kann nur gemeinsam gelingen!

I. Für einen Politikwechsel:  in Europa investieren

Wir brauchen einen Politikwechsel in Europa - weg von einer einseitigen Sparpolitik, weg von einer wirtschaftsliberalen Ausrichtung des Binnenmarktes, hin zu einer Europäischen Union, die sozial gerechter, demokratischer, unbürokratischer und vor allem auch bürgernäher ist. Dabei muss die EU auch stets die Wir­kungen ihrer Politik auf unsere Städte, Gemeinden und Kreise im Blick haben.

Die Sozialdemokratie steht für ein soziales Europa, in das wir investieren müssen, um den Menschen Perspektiven für gute Arbeit zu ermöglichen und eine moderne Gesellschaft sicher zu stellen. Daher hat die SPD im Koalitionsvertrag die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt, künf­tig einen höheren Beitrag zum Haushalt der EU als bisher zu leisten. Dies ist ein wichtiges Signal an die europäischen Partner: Deutschland ist bereit, sich stärker für eine handlungsfähige Europäische Union zu engagieren. Eine EU, deren dauerhafter Bestand aus ökonomischen und sicherheitspoliti­schen Gründen von existentiellem Interesse für Deutschland ist.

In einem sozialen Europa steht immer der Mensch im Mittelpunkt, nicht der Markt. Wir müssen die soziale Dimension in unserem gemeinsamen Europa stärken. Die auf sozialdemokratische Initiative von der EU beschlossene Europäische Säule sozialer Rechte muss mit Leben gefüllt und zu einem verbindlichen Aktionsprogramm der EU weiterentwickelt werden. Unser Ziel ist es, mehr sozialen Schutz der Menschen in Europa und soziale Gerechtigkeit im Binnenmarkt sicher zu stellen. Wir brauchen festgelegte soziale Mindeststandards in der EU für gute Arbeitsbedingungen und Sicherheit am Arbeitsplatz, mit existenzsichernden Mindestlöhnen in allen EU-Mitgliedsstaaten sowie eine auskömmliche soziale Absicherung für alle Menschen, die in Armut leben. Eine Verbesserung von Sozialstandards in EU-Mitgliedsländern mit weniger gut ausgebauten sozialen Sicherungssystemen befördert die Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb der EU und stärkt damit den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt.

Wir wollen in Arbeitsplätze und Ausbildung investieren. Wir wollen in Infrastruktur, Klimaschutz, Mobilität und Digitalisierung investieren. Damit stärken und verbessern wir die Daseinsvorsorge, setzen Impulse für nachhaltiges und umweltvertragliches Wirtschaftswachstum. Wir erhalten damit bestehende Arbeitsplätze, schaffen Rahmenbedingungen für neue Beschäftigung und können auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Regionen Europas bekämpfen.

Europa benötigt eine angemessene Finanzausstattung

Investitionen erfordern entsprechende Finanzmittel, ebenso wie eine wirksame EU-Förderpolitik, die einen wesentlichen Beitrag zum Abbau wirtschaftlicher Unterschiede zwischen und in den Ländern und Regionen Europas leistet. Viele Projekte in Städten, Gemeinden und Kreisen werden mit
EU-Fördergeldern realisiert und tragen damit auch zur Sichtbarkeit der Europäischen Union vor Ort bei. Daher unterstützen wir die Bereitschaft Deutschlands künftig einen höheren Beitrag zum Haushalt der EU zu leisten. Die Rahmenbedingungen für die Erstellung des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens der EU für den Zeitraum 2021 bis 2027 sind ausgesprochen schwierig, da mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs die Europäische Union ihren zweitgrößten Beitragszahler verliert. Es bedarf daher noch weiterer Maßnahmen, um eine angemessene Finanzausstattung für eine handlungsfähige EU sicher zu stellen. So müssen auch neue eigenständige Einnahmequellen der Europäischen Union in Betracht gezogen werden.

Die EU-Mitgliedsstaaten, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament müssen bereits 2019 sicherstellen, dass eine Vorbereitung aller erforderlichen Maßnahmen für die nächste Förderperiode der europäischen Kohäsionspolitik gewährleisten werden kann.

Europawahl ist entscheidend für den notwendigen politischen Richtungswechsel in Europa!

Europa sind wir alle! Wir wählen bei Europa- und Bundestagswahlen und bestimmen damit unsere Abgeordneten im Europäischen Parlament sowie die nationalen Vertreterinnen und Vertreter im Rat der EU indirekt. Die nationalen Mehrheitsverhältnisse in den Mitgliedsstaaten spielen zumeist auch mittelbar eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der jeweiligen EU-Kommissare.

Die Europawahl 2019 ist auch für die über 11.000 deutschen Kommunen von großer Bedeu­tung. Ein wesentlicher Teil der Rechtsakte der EU hat – direkte oder indirekte – Auswirkungen auf die Gestal­tung von Politik und das Handeln auf der kommunalen Ebene in Deutschland. Dazu zählen vor allem die Regeln des EU-Binnen­marktes (Wettbewerbsrecht und Vergaberecht) auf die Daseinsvorsorge, durch die EU-Förderung lokaler und regionaler Projekte, aber auch das Setzen sozialer und ökologi­scher Standards.

Bei der Gestaltung europäischer Politik kommt dem Europäischen Parlament zusammen mit dem Europäischen Rat (Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten) eine zentrale Rolle zu. Die Grundausrich­tung der Politik der EU wird jedoch nach wie vor maßgeblich von der Europäischen Kommis­sion gestaltet, bei der das Initiativrecht für europäische Verordnungen und Richtlinien liegt. Mit dem Ausschuss der Regionen (AdR) haben die Kommunen und Regionen in Europa eine institutionelle Stimme in diesem Prozess, die künftig mehr Gewicht erhalten sollte.

Auch auf der europäischen Ebene gilt: die SPD ist die Kommunalpartei! Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament setzen sich nachdrücklich für die Achtung der kommu­nalen Selbstverwaltung und die Belange der Kommunen ein. Denn sie wissen, dass ein soziales Europa starke und handlungs­fähige Städte, Gemeinden und Kreise braucht und dass Europa seine Stärke aus der lokalen und regionalen Vielfalt bezieht.

Die SPD-Europaabgeordneten haben sich bei zahlreichen Gesetzge­bungs­vor­haben erfolgreich im Sinne der Städte, Gemeinden und Kreise eingesetzt. Hierfür stehen drei Beispiele, die von besonderer Bedeutung für die Kommunen sind: Der Schutz der Daseinsvorsorge und von Standards in Handel­sver­trägen (CETA), der Erhalt von starken und handlungsfähigen Sparkassen als Kreditgeber für die Wirtschaft vor Ort sowie die Berücksichtigung kommunaler Interessen bei der Gestaltung der künftigen Kohäsionspolitik.

Die Sozialdemokratie steht für eine Politik der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. Für die Implementierung unserer Politik benötigen wir neue Mehrheiten. Derzeit führen nur noch in sechs der 28 EU-Staaten sozialdemokratische Parteien die Regierung. In einigen anderen Ländern regieren Sozialdemokraten in Koalitionen zwar mit und können so wichtige Impulse geben, müssen aber auch gleichzeitig teils schwierige Kompromisse eingehen, die in unserer Wählerschaft oft unpopulär sind. Nur acht von 28 EU-Kommissaren sind Sozialdemokratinnen oder Sozialdemokraten und im Europä­ischen Parlament stellt die Fraktion der Progressiven Allianz nur 190 der insgesamt 751 Abgeordne­ten. Mit der Europawahl 2019 wollen wir das Vertrauen der Europäerinnen und Europäer gewinnen und mit neuen Mehrheitsverhältnissen im Europäischen Parlament einen Politikwechsel in Europa einleiten.
 

Die Kommunen sind das Fundament unserer Europäischen Union

Die Städte, Gemeinden und Kreise haben eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, gute Zukunftsper­spektiven für die Europäerinnen und Europäer zu schaffen. Sie leisten auf vielfältige Art und Weise einen entscheidenden Beitrag zum europä­ischen Integrationsprozess. Sie setzen eine Vielzahl von europäischen Regelungen um und bringen Menschen durch Partnerschaften und Kooperationen zusammen. Sie gestalten die Lebens­bedingungen für die Bürgerinnen und Bürger durch die Bereit­stellung von Infrastruktur und Dienst­leistungen und erfüllen dabei wichtige Aufgaben der öffentli­chen Daseinsvorsorge, die von grundle­gender Bedeutung für ein soziales Europa sind. Zudem tragen sie entscheidend zur Über­windung sozialer Ausgrenzung bei und sichern den sozialen Zusammenhalt. Die Städte, Gemeinden und Kreise bieten Heimat und Vielfalt in einem geeinten Europa.

Dabei muss die Vielfalt der Kulturen, Traditionen und Strukturen in den europäischen Mitglied­staaten erhalten bleiben. Diese Vielfalt spiegelt sich auf der kommunalen Ebene wider und stellt eine der großen Stärken Europas dar.

Auf der kommunalen Ebene können die ausländischen Unionsbürgerinnen und Unions­bürger durch das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen auf die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensum­feldes direkten Einfluss nehmen. Dadurch leistet die kommunale Ebene einen wesent­lichen Beitrag zur Integration und zum Zusammenwachsen der Nationalitäten.

Auf lokaler Ebene ist die Sozialdemokratie weiterhin in zahlreichen Städten, Gemeinden und Regio­nen eine Macht. Zahlreiche sozialdemokratische Bürgermeisterinnen, Bürgermeister und Ratsmit­glieder gestalten tagtäglich verantwortungsvoll eine an den Bedürfnissen unserer Bürgerinnen und Bürger orientierte Politik vor Ort. Insbesondere in europäischen Großstädten ist und bleibt die Sozialdemokratie die stärkste politische Bewegung. Von den 200 Städten über 175.000 Einwohner in der EU werden rund die Hälfte von sozialdemokratischen oder progressiven (PES) Bürgermeister­innen und Bürgermeister geführt.

Am 26. Mai 2019 finden in Deutschland gleichzeitig mit der Europawahl Kommunalwahlen in voraus­sichtlich zehn Bundesländern statt: Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg (Bezirksversamm­lungen), Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen – in Bremen finden neben der Bürgerschaftswahl auch Wahlen zur Stadtbürgerschaft und zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven statt.

Die Kommunen sind das Fundament unserer Europäischen Union, gleichzeitig nimmt die europäische Politik Einfluss auf das Handeln auf kommunaler Ebene. Die sozialdemokratischen Kommunalpoliti­kerinnen und Kommunalpolitiker werden die Kandidatinnen und Kandidaten der SPD für die Europa­wahl 2019 und den gemeinsamen Spitzenkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Europas mit aller Kraft unterstützen.

II. Wir müssen aufstehen und Gesicht zeigen für ein gemeinsames Europa

Die Sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und -politiker beobachten den Vertrauensverlust vieler Menschen in die europäische Integration und das Aufkommen nationalistischer, antieuropä­ischer und undemokratischer Kräfte in Europa mit großer Sorge. In Anlehnung an John F. Kennedy sagen wir: „Frag nicht, was Europa für Dich tun kann, frag Dich, was Du für Europa tun kannst“. Wir wollen aktiv zum Erhalt und zur Stärkung unseres gemeinsamen Europas, Garant für Frieden, Freiheit, Stabilität und Wohlstand, beitragen:

  • Mit aktiven Städtepartnerschaften wollen wir die Begegnung unserer Bürgerinnen und Bürger mit denen unserer Partnerkommunen auf allen Ebenen verstärken und zum Zusammenwachsen Europas beitragen.
  • Auf Veranstaltungen können wir unsere Unterstützung für den Europäischen Gedanken manifes­tieren und Mitbürgerinnen und Mitbürger über die Europäischen Union informieren und ihre existentielle Bedeutung für unser Land aufzeigen - beispielsweise auf Veranstaltungen im Rahmen von Europatagen oder Europawochen in Kooperation mit Partnerschaftsvereinen, Europäischen Verbänden und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft.
  • Mit einer verbesserten Kommunikation und einer barrierefreien Sprache wollen wir auf die
    EU-Förderung von Projekten in unseren Kommunen deutlicher hinweisen.
  • Populistischen und nationalistischen Angriffe, die mit bewusst falschen Behauptungen unsere Europäische Union in ein falsches Licht rücken wollen, müssen wir uns entschieden entgegen­stellen und öffentlich entlarven.
  • Unser Europa steht für die Werte der Demokratie und für Solidarität, für Weltoffenheit und Toleranz. Wir können Kommunalpolitikerinnen und-politiker, die in ihren Ländern bei der Wahr­nehmung ihres Mandats behindert werden, oder in deren Staaten das kommunale Selbstver­waltung recht eingeschränkt wird, durch Aktionen unterstützen, in denen wir die Öffentlichkeit informieren und unsere Solidarität bekunden.

Europa gemeinsam weiterentwickeln - Wettbewerb um die richtige Politik sachlich führen

Eine Kommunikation, die die Europäische Union pauschal als Bedrohung für die Kommunen darstellt, lehnen wir entschieden ab. Wenn wir auf europäischer Ebene kommunale Interessen vertreten und dabei auch mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament um den richtigen Weg ringen, muss stets auf Sachlichkeit in der Kommunikation geachtet werden. Es muss immer deutlich werden, dass es uns nie darum geht, die Europäische Idee grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern um die Durchsetzung kommunaler Interessen, so wie dies auch im nationalen Rahmen ebenso mit Bund und Ländern geschieht.

Bundes-SGK und PES Local bauen Erfahrungsaustausch aus

Die Bundes-SGK hat sich seit ihrer Gründung 1978 für eine engere europäische Integration und die Verbreitung des europäischen Gedankens nachhaltig engagiert. Zusammen mit Genossinnen und Genossen aus Frankreich, Belgien und Österreich hat sie mit der Euro-SGK 1979 ein Netzwerk für den Austausch von Erfahrungen und Informationen ins Leben gerufen, mit dem auch gemeinsame kom­munale Interessen auf der europäischen Ebene voran gebracht werden. Die Bundes-SGK will die Kooperation im Rahmen unseres europäischen Netzwerks PES Local (Euro-SGK) sowie den bilateralen Erfahrungsaustausch mit sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und -politikern in Europa weiter ausbauen.

III. Erwartungen der Bundes-SGK an die Europäische Politik

1. Kommunales Selbstverwaltungsrecht stärken - Subsidiaritätsprinzip strikt einhalten

Im Vertrag von Lissabon hat die Europäische Union erstmals das Prinzip der kommunalen Selbstver­wal­tung im Primärrecht ausdrücklich anerkannt. Gleichzeitig wurde auch das Subsidiaritätsprinzip gestärkt. Die nationalen Parlamente und der Ausschuss der Regionen haben durch den Vertrag von Lissabon neue Rechte erhalten, um die die Einhaltung des Subsidiaritäts­prinzips zu über­wachen.

Die Bundes-SGK fordert das Europäische Parla­ment, den Rat der Europäischen Union und die Euro­päische Kommission auf, künftig noch stärker als bisher bei Gesetzgebungsvorhaben strikt die Achtung der kommunalen Selbstverwaltung und die historisch gewachsenen und bewährten Struk­turen sowie die Einhaltung des Subsidiaritäts­prinzips zu beachten. Gleichzeitig sind Bundesre­gierung, Bundestag und Bundesrat aufgefordert, die Interessen der Kommunen in den Entscheidungspro­zessen in Angelegen­heiten der EU noch stärker zu berücksichtigen.

2. Europa braucht starke und handlungsfähige Kommunen

Europa braucht handlungsfähige Kommunen, damit diese ihre vielfäl­tigen Leistungen für die Sicherung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger auch künf­tig aufrecht­erhalten können. Ohne hand­lungsfähige Kommunen und Regionen können die sozialen und gesellschaftlichen Herausforde­rungen nicht bewältigt werden. Sie sind systemrelevant für eine funktionierende Demokratie.

Die Kommunen können ihren Beitrag zu einem demokratischen und sozialen Europa am besten leisten, indem sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Kompetenzen möglichst wenig durch Normen, Standards und Bürokratie eingeschränkt werden. Nur so können sich die Innovationspoten­tiale der Kommunen bestmöglich entfalten und im Dienste der Bürgerinnen und Bürger bestmöglich genutzt werden.

Die Handlungsautonomie der Kommunen wird oftmals nicht nur direkt durch die Rechtsetzung der EU eingeschränkt, sondern insbesondere auch durch die finanziellen Folgelasten europäischer Regelungen. Die Haushalte der Kommunen werden dadurch in beträchtlichem Maße in Anspruch genommen und die politischen Gestaltungsmöglichkeiten damit enger. Die EU und die Mitglied­staaten müssen dafür Sorge tragen, dass die lokalen Gebietskörperschaften eine entsprechende Finanzausstat­tung für die Erfüllung von Aufgaben erhalten, die auf Rechtsvor­schriften der EU zurückgehen.

Die unmittelbaren und mittelbaren finanziellen, administrativen und sozialen Auswir­kungen von
EU-Rechtsakten auf die Kommunen müssen noch stärker berücksichtigt und die Verfahren der Ge­setzesfolgenabschätzung sowie die Beteiligung kommunaler Interessenvertreter weiter verbessert werden. Denn die kommunale Ebene kann durch ihren Sachverstand sowie durch ihre Kenntnis der lokalen Bedingungen und Problemstellungen einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung einer bürgerna­hen und effizienten Politik leisten.

Mit dem Ausschuss der Regionen (AdR) haben die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften eine Institution in der Europäischen Union, die bei Gesetzesvorhaben mit Auswirkungen auf Kommunen und Regionen im Gesetzgebungsprozess angehört werden muss. Im EU-Vertrag von Lissabon ist der AdR weiter gestärkt worden und hat die Möglichkeit erhalten, aktiv die Einhaltung des Subsidiaritäts­prinzips zu über­wachen. Der AdR sollte künftig noch besser in die Gestaltung der EU-Politik eingebun­den werden. Die Bundes-SGK bekräftigt ihre Forderung nach einer Erhöhung der kommunalen Sitze in der deutschen Delegation im Ausschuss der Regionen, der eine repräsentative Vertretung der lokalen und regionalen Gebietskör­perschaften sein soll.

Neben der verpflichtenden Anhörung des Ausschusses der Regio­nen bei kommunalrelevanten Fra­gen, sollte überdies auch der Dialog zwischen den Organen der EU mit den kommunalen Spitzenver­bänden auf der europäischen Ebene verstärkt werden.

Die Bundes-SGK begrüßt, dass die Europäische Kommission mit der Urban Agenda der EU der beson­deren Bedeutung der Städte Rechnung trägt. Bei der Umsetzung europäischer Politiken und Maßnah­men spielen die Kommunen in zahlreichen Feldern eine entscheidenden Rolle: beim Klimaschutz und der Energiewende, der Mobilität, der Asylpolitik, dem Erhalt und dem Ausbau der Infrastruktur, der Digitalisierung, der Wirtschaftsförderung und im sozialpolitischen Bereich. Ziel der Urban Agenda ist die Verbesserung der Lebensqualität in den Städten durch eine bessere Einbeziehung der Städte in die Konzeption von EU-Politiken. Die Europäische Kommission will einen besseren Informationsaus­tausch mit und zwischen den Städten herstellen, eine bessere Gesetzesfolgenabschätzung soll zu besserer Rechtesetzung führen und die Möglichkeiten der Förderung von Projekten Städten soll mit der Urban Agenda verbessert werden.

Die Bundes-SGK unterstützt die vom Europäischen Parlament geforderte bessere Einbindung der Städte in die EU-Politik durch die Urban Agenda, institutionell zu verankern. Dazu sollten künftig unter Einbindung des Ausschusses der Regionen der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) und weitere europäische Verbände für Kommunalpolitik zentrale Partner der Europäischen Kommission werden.

Im Zusammenhang mit der Urban Agenda weisen wir zudem darauf hin, dass die Europäische Kom­mission  auch mit den Vertreterinnen und Vertretern kleinerer Kommunen und Gemeinden im ländli­chen Raum in einen stärkeren Dialog gehen muss, um die Problemstellungen auch dieser Gebietskör­perschaften bei der Ausrichtung europäischer Politik besser berücksichtigen zu können.
 

3. Kommunale Daseinsvorsorge sichern - Im Mittelpunkt steht der Mensch

Die Sicherung und Verbesserung von Dienstleis­tun­gen von allgemeinem Interesse ist eine wesent­liche Grundbedingung für die Verwirklichung eines sozia­len Europas. Die Bandbreite dieser Dienst­leistungen, die das Gemeinwohl betreffen, reicht von der Grundver­sorgung mit Wasser und Energie über den öffent­lichen Personennahverkehr über die Bereiche Wohlfahrt, Schule, Gesundheit, Woh­nungswesen und Kultur bis hin zu der Betreu­ung von Personen in schwierigen Lebenssituationen und anderen sozialen Dienstleistungen von allge­meinem Interesse. Diese Dienstleistungen sind eine wesentliche Entwicklungsgrundlage für Wirtschaftsunternehmen und somit für die Schaffung von Arbeitsplätzen und stellen einen entschei­denden Faktor bei der Gewährleistung der sozialen Teilhabe der Menschen dar.

Im Mittelpunkt der europäischen Politik muss immer der Mensch stehen. Der europäische Binnen­markt mit seinen Wettbewerbsregeln kann und darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss immer der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen dienen. Die kommunale Daseinsvorsor­ge darf daher nicht in Frage gestellt werden. Vorhaben, die einen Zwang zur Privatisierung kommu­naler Daseinsvorsorgeeinrichtungen beinhalten, wie z.B. bei der Trinkwasserversorgung, werden wir uns auch in Zukunft entgegenstellen. Eine Einschränkung der Handlungsfähig­keit der Kommunen bei der Sicherung gemeinwohlorientierter Dienstleistungen wird von den Bürgerinnen und Bürgern abgelehnt. Dies hat die Debatte um die Anwendung der Dienstleistungskonzessionsrichtlinie auf den Bereich der Wasserversorgung eindrucksvoll gezeigt.

Daher dürfen auch kommunale Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden, ihre Daten bedin­gungslos Dritten zur Verfügung zu stellen. Die Gestaltung verbesserter Dienstleistungen durch intelli­gente Vernetzung und Digitalisierung müssen auch durch kommunale Unternehmen weiterhin gewähr­leistet bleiben. Bei der Bereitstellung von Daten öffentlicher Unternehmen, insbesondere im Bereich unterfinanzierter Daseinsvorsorge, wie dem öffentlichen Personennahverkehr, bestünde die Gefahr, dass Unternehmen der Plattformökonomie profitieren, ohne einen Beitrag zur Finanzierung der Dienstleistung zu leisten. Die gewinnträchtigen Dienstleistungen könnten mit Daten des öffent­lichen Sektors durch die Privatwirtschaft angeboten werden, unprofitable Dienstleistungen blieben dem öffentlichen Sektor vorbehalten (Rosinenpickerei).

Entscheidungen darüber, welche Leistungen der Daseinsvorsorge und wie diese Dienstleistungen erbracht werden, müssen auch weiterhin den EU-Mit­gliedstaaten und ihren Kommunen überlassen bleiben und die historisch gewachsenen Strukturen in den Mitgliedsstaaten der EU respektiert wer­den. So sieht es auch das Proto­koll Nr. 9 zum Vertrag von Lissabon vor. In Bezug auf Dienste von allge­mei­nem wirtschaftlichem Interesse betont es explizit die wichtige Rolle und den weiten „Ermes­sensspielraum der natio­nalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemei­nem wirtschaft­lichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“.

Die Bundes-SGK bekräftigt ihre Forderung nach Schaffung von mehr Rechtssicherheit für die Kom­mu­nen im Hinblick auf Dienstleis­tungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse. Europarecht­liche Vorschriften im Beihilfenrecht müssen auf das für die Funktionsfähigkeit des EU-Binnenmarktes zwingend erforderliche begrenzt werden. Schwellenwerte müssen erhöht und Verwaltungsverfahren vereinfacht werden. Zudem fordert die Bundes-SGK weiterhin eine europäische Regelung zur Frei­stellung der interkommunalen Zusammenarbeit vom Vergaberecht sowie weitere Erleichterungen für die Inhouse-Vergabe.

Mit Blick auf derzeit in Verhandlung befindliche und künftige Freihandelsabkommen fordert die Bundes-SGK die Europäische Kommission mit Nachdruck auf, die kommunale Daseinsvorsorge nicht für Dritte als Markt zu öffnen und  insbesondere die öffentliche Wasserversorgung und Wasserent­sor­gung, sowie die Bereiche Abfall und Öffentlicher Personennahverkehr, ebenso wie soziale Dienst­leistungen und die kommunale Kulturförderung aus dem Anwendungsbereich von Handelsab­kom­men ausdrücklich auszu­schließen. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten sind auf­ge­fordert dies ebenso sicherzu­stellen, wie die hohen Schutzstandards im Umweltbereich und Ver­braucherschutz. Die Bundes-SGK setzt sich für eine werteorientierte und faire Handelspolitik ein; Abschottung vom Welthandel und unfairen Handelsbedingungen müssen wir uns entgegenstellen.
 

4. Regional- und Strukturförderung der EU - Kommunen als Partner stärker einbeziehen

Mit ihrer Kohäsionspolitik leistet die Europäische Union einen wesentlichen Beitrag dazu, der ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung der europäischen Regionen und den daraus entstehenden so­zialen Ungleichheiten zu begegnen und stärkt damit den territorialen und sozialen Zusammen­halt Europas. Ziel der Kohäsionspolitik ist es, den ökonomischen und sozialen Disparitäten in der EU entgegen zu wirken und die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähig­keit der strukturschwachen Gebiete zu stärken. Mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Ent­wick­lung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) werden beispielsweise der Ausbau von Infra­struktur, die Unterstützung des Strukturwandels in alten Industrieregionen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Qualifizierung von Arbeitslosen, die Sanierung von Stadtvierteln oder Projekte im ländlichen Raum gefördert. Auch in Deutschland - insbesondere seit der Wiedervereini­gung – sind viele Projekte mit Mitteln aus den EU-Strukturfonds realisiert worden. Die EU wird für viele Bürger­innen und Bürger oftmals erst durch geförderte Projekte in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld sicht­bar und wahrnehmbar.

Die Bundes-SGK und PES Local setzen sich dafür ein, dass eine effiziente und wirksame Kohäsions­politik auch weiterhin ein Kernstück der Politik der Europäischen Union bleibt. In ihrem Ende Mai 2018 veröffentlichten Verordnungsvorschlag für die Kohäsionspolitik in der Förderperiode 2021 bis 2027hat die Europäische Kommission wesentliche Forderungen der Kommunen berücksichtigt. Insbesondere ist zu begrüßen, dass die Förderfähigkeit aller Regionen in Europa fortgesetzt wird. Zudem sollen die lokalen und regionalen Partner stärker bei der Planung und Durchführung von Fördermaßnahmen einbezogen werden. Auf die Beachtung und Umsetzung der Einbindung der Kommunen sollte die Europäische Kommission dabei besonderes Augenmerk legen. Die Mittelver­gabe und -verwaltung soll weniger bürokratisch und flexibler erfolgen. Regionen, die besonders von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und den Kosten der Integration von Zugewanderten betroffen sind, sollen stärker gefördert werden.

Zentrale Kritikpunkte bleiben die Reduzierung der Fördermittel um rund 10 Prozent sowie die Erhö­hung des Kofinanzierungsanteils, die es vielen Kommunen erschweren werden, Fördermittel für Projekte vor Ort zu erhalten. Die Bundes-SGK fordert daher eine Erhöhung der finanziellen Ausstat­tung der Kohäsionspolitik, um eine wirksame Strukturpolitik zu gewährleisten. Zudem muss die Umsetzung der EU-Kohäsionspolitik in den Bundesländern im Sinne des Partnerschaftsprinzips in enger Abstimmung mit den Kommunen erfolgen.