Positionspapier
Beschlüsse Vorstand

Positionspapier "Armutszuwanderung aus Südosteuropa: Der Bund muss den betroffenen Kommunen zügig im Rahmen vorhandener Programmstrukturen helfen"

21. Februar 2014

Die Bundes-SGK begrüßt, dass die neue Bundesregierung zügig Maßnahmen ergreifen will, die den von Armutszuwanderung aus Südosteuropa betroffenen Kommunen bei der Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen helfen sollen. Unterstützung findet vor diesem Hintergrund auch die Entschließung des Bundesrates vom 14. Februar 2014, in der auf die notwendigen Anstrengungen auf europäischer und Bundesebene hingewiesen und entsprechende Ressourcen gefordert werden.

Zugleich wenden wir uns erneut gegen unverantwortlichen Populismus, der betroffenen Menschen Sozialmissbrauch vorwirft und ganze Bevölkerungsgruppen pauschal dem Verdacht aussetzt, sie würden nach Deutschland kommen, um hier öffentliche Leistungen zu beziehen. Der weit überwiegende Teil der aus Bulgarien und Rumänien zuziehenden Personen sucht und findet hierzulande Arbeit. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zu ihrer Integration vor Ort in den Kommunen.

Wir dürfen aber auch weiterhin nicht die Augen davor verschließen, dass es einen verstärkten Zuzug von Menschen aus Südosteuropa gibt, die aus prekären Verhältnissen stammend auch hierzulande unter prekären Bedingungen leben. Diese sog. Armutszuwanderung, löst vor Ort in betroffenen Städten und Quartieren erhebliche Belastungen aus. Es ist inzwischen in mehreren Städten eine Situation entstanden, die Nachbarschaften vollständig überfordert und ein großes soziales Konfliktpotenzial erzeugt.

Die Bundes-SGK bekräftigt deshalb ihre Forderung nach schneller und umfassender Hilfe für die von Armutszuwanderung betroffenen Kommunen. Hierzu zählt insbesondere,

·    dass Bund und EU die Verantwortung der Herkunftsländer für die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Zuwandernden einfordern und diese Länder dabei unterstützen;

·    dass sich der Bund gegenüber der EU dafür einsetzt, dass Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) flexibler genutzt und in den Herkunfts- und Zielländern der Armutszuwanderung eingesetzt werden können;

·    dass der Bund Soforthilfe leistet: mit ESF-finanzierten Bundesprogrammen, der Aufstockung und Nutzung des Programms „Soziale Stadt“, einem die erhöhten Sozial­ausgaben deckenden Lastenausgleich zugunsten betroffener Kommunen, Sprach­kursen sowie erhöhten Eingliederungsmitteln und Personalkapazitäten im SGB II;

·    dass ordnungsrechtliche Maßnahmen geprüft und umgesetzt werden, wo unberechtigter Leistungsbezug, kriminelle Strukturen und Ausbeutung Integration behindern und zulasten der Zuwandernden selbst gehen.

Mit Blick auf die aktuelle und weiter zunehmende Belastung der betroffenen Kommunen muss es jetzt zunächst darum gehen, schnell und das heißt noch in diesem Frühjahr zu konkreten Entscheidungen zu gelangen, um die im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU zugesagte Öffnung und stärkere Nutzung von vorhandenen Bundesprogrammen umzusetzen. Es ist anzustreben, dass entsprechende Mittel schon im laufenden Jahr vor Ort verwendet werden können.

Die Bundes-SGK begrüßt ausdrücklich und erneut die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit angekündigten Maßnahmen zur
Nutzung von Mitteln aus dem aufgestockten Programm „Soziale Stadt“. Wichtig ist hierbei insbesondere, dass diese auch außerhalb bestehender Programmgebiete eingesetzt werden können, sofern betroffene Quartiere und Nachbarschaften noch nicht erfasst sind. Zugleich müssen Bund und Länder sicher stellen, dass eine Teilhabe von Kommunen nicht daran scheitert, dass sie aufgrund einer schwierigen Haushaltslage keinen eigenen Kofinanzierungsanteil leisten können.

Darüber hinaus muss ein deutlich verstärkter Handlungsansatz auch im Bereich der sozialpolitischen Fördersysteme gebildet werden, die u. a. mit europäischen Mitteln gespeist werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Europäische Sozialfonds (ESF) in der angehenden Förderperiode 2014 bis 2020. Die Europäische Kommission hat mehrfach betont, dass mindestens 20% der ESF-Mittel in den Mitgliedstaaten zur Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung von Armut auszugeben sind. Bund und Länder gehen darüber in ihren

Programmplanungen hinaus, wobei insbesondere auf Bundesebene bislang die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit im Vordergrund steht.

Dieses Ziel wird nicht in Abrede gestellt, darf aber nicht dazu führen, dass die Bekämpfung der Armutszuwanderung lediglich in zu geringer Höhe und in vereinzelten Programmteilen Aufnahme findet und durch komplizierte Regelungen erschwert wird. Unverändert gilt, dass eine wirksame Hilfe nicht durch punktuelle und geringfügige Unterstützung, sondern nur durch einen größeren und gezielten Mitteleinsatz über einen längeren Zeitraum erreicht werden kann. Deshalb muss in der derzeit noch möglichen Ausgestaltung von Programmen des ESF und anderer Fördermittel sicher gestellt werden, dass den betroffenen Kommunen für die nächsten Jahre feste Budgets vorbehalten sind. Diese Mittel müssen für die Betreuung der in Rede stehenden Zielgruppen tatsächlich zur Verfügung stehen. Konkurrierende Bestimmungen oder finanzielle Anforderungen dürfen nicht dazu führen, dass die Betroffenen de facto ausgeschlossen werden. Deshalb fordert die Bundes-SGK:

·    Im Rahmen des ESF-Bundesprogramms stellt ein gesondertes Programm zur Bekämpfung der Folgen der Armutszuwanderung für betroffene Kommunen den nach wie vor sinnvollsten und effektivsten Handlungsansatz dar. Hierdurch wird eine größere Übersichtlichkeit erzeugt, sind Verteilungskämpfe zu vermeiden und wird der Mitteleinsatz vereinfacht. Dazu sollten feste Anteile der in verschiedenen Ressorts geplanten Programme zusammengezogen werden. Förderansatz sind im weiteren Prozess zu konkretisierende Maßnahmen der sozialen Integration, im Bildungs- und Qualifizierungsbereich sowie Beratungsangebote, wobei den Kommunen ein möglichst breiter Spielraum für die Projektausgestaltung und eine zielgruppen­gerechte Ansprache gewährt werden sollte.

·    Der sog. Europäische Armutsfonds (FEAD) ist bei der Erstellung des operationellen Programms für Deutschland auf das Phänomen der Armutszuwanderung auszurichten. Einen wesentlichen Förderansatz können hier Beratungsangebote für betroffene Personengruppen und Stellen für aufsuchende Sozialarbeit bilden.

·    Unabhängig von einem eigenen ESF-Bundesprogramm und der Verwendung von FEAD-Mitteln müssen bestehende und grundsätzlich geeignete ESF-Bundesprogramme verschiedener Ressorts für die Betreuung der Zielgruppe der Armutszuwanderer geöffnet werden und miteinander kombinierbar sein. Auch hier gilt, dass die Fördermerkmale der Bedarfslage der betroffenen Personengruppen entsprechen müssen. Insbesondere sollte ein schon bestehender Leistungsanspruch nicht als Vorbedingung einer Förderung gelten.

·    Die Nutzung von ESF-Programmen sollte durch Modularisierung vereinfacht und enbürokratisiert werden. Bei der Einrichtung eines gesonderten Programms wie auch bei bestehenden und miteinander kombinierbaren Förderprogrammen des Bundes sind die Länder und Kommunen bei der Programmentwicklung und der Gestaltung von Ausschreibungs- und Vergabebedingungen einzubeziehen. So wird gewährleistet, dass die Mittel schnell, zügig und zielgenau dort ankommen, wo sie benötigt werden. Hierfür empfiehlt sich die Einrichtung von Programmbeiräten, in denen Vertreterinnen und Vertreter der Länder und Kommunen mitwirken und ein Mitspracherecht erhalten.

·    Der Bund und die Länder müssen Kofinanzierungsregelungen vereinbaren und sicher stellen, damit insbesondere auch Kommunen in Haushaltsnotlage an den Programmen gleichberechtigt teilhaben können. Dies betrifft erneut die Möglichkeit, unterschiedliche Fördermittel miteinander zu kombinieren, sowie das Erfordernis, komplementäre Landesprogramme zu nutzen und entsprechende haushalterische Voraussetzungen zu schaffen.

Beschluss des Vorstandes der Bundes-SGK
vom 21. Februar 2014